Joseph Anton
ihm zu wenig Freiraum für den menschlichen Willen. Deshalb betonte er die Silbe Wahl in Wahlverwandtschaft, eine Wahl nicht der unbewussten biochemischen Natur, sondern des bewussten Ichs. Seine Liebe zu den von ihm ausgewählten Freunden und zu jenen, die ihn ausgewählt hatten, erhielt und nährte ihn; und dass sein Verhalten, auch wenn es sich in geschäftlicher Hinsicht rechtfertigen ließ, derartige Wunden schlug, schien ihm menschlich falsch.
Er hatte Liz Anfang der siebziger Jahre durch Clarissas beste Freundin Rosanne Edge-Partington kennengelernt. Clarissas Mutter Lavinia war kurz zuvor ins Dorf Mijas nach Südspanien gezogen, für General Franco der schönste Ort Andalusiens und später Vorbild für das fiktive, dem realen Ort gar nicht so unähnliche Dorf Benengeli in Des Mauren letzter Seufzer . Sie verkaufte ihr großes Haus in der Lower Belgrave Street 35 an das Schauspielerehepaar Michael Redgrave und Rachel Kempson, die es später – seltsamerweise – an Hope Somoza weiterverkauften, die Frau des Diktators von Nicaragua. Allerdings behielt Lavinia die kleinere, ursprünglich mit dem Haupthaus verbundene Maisonette Nr. 37a für ihre Tochter. Dort wohnte er dann mit Clarissa dreieinhalb Jahre lang, bis sie das Haus in der Raveley Street 19 in Kentish Town in Nordlondon erstanden, wo er Mitternachtskinder schrieb, in den bleiernen Himmel Englands stierte und dabei von den hitzedunstigen Horizonten Indiens träumte. Während dieser dreieinhalb Jahre war Liz Calder beinahe durchgehend ihre Untermieterin. Liz’ damaliger Freund Jason Spender machte seinen Doktor an der Manchester University, während sie in der Presseabteilung des Verlags Victor Gollancz in London arbeitete, weshalb sie zwischen Manchester und London hin- und herpendelte, drei, vier Tage die Woche in ihrem Büro saß und die restliche Zeit im Norden verbrachte.
Sie war eine wunderbare Frau, und zu den Aufgaben, die sie ihm zuteilte, gehörte, dass er abends aufblieb, wenn Männer sie von Literaturveranstaltungen nach Hause brachten, was sie oft taten. Er hatte sich dann freundlich mit ihnen zu unterhalten, bis sie schließlich nach Hause gingen. »Lass mich bloß nicht mit denen allein«, sagte sie, als wäre sie nicht durchaus in der Lage gewesen, es mit jedem Mann aufzunehmen, der etwas bei ihr versuchen wollte. Einer dieser spätabendlichen Besucher war der Schriftsteller Roald Dahl, ein schlaksiger, unangenehmer Mensch mit Würgerpranken, der ihm solch hasserfüllte Blicke zuwarf, dass er beschloss, keinen Millimeter zu weichen. Schließlich stürmte Dahl hinaus in die Nacht, beinahe ohne ein Wort des Abschieds, auch nicht zu Liz. Ein anderer dieser Gentlemen war John Coleman, angeblich trockener Alkoholiker, der seine Aktenmappe öffnete, zwei Flaschen nicht gerade minderprozentiger Spirituosen herausholte und verkündete: »Die sind für mich.« Coleman blieb so lange, dass er seinem Versprechen schließlich doch untreu wurde und zu Bett ging, obwohl ihm Liz tödliche Blicke nachwarf. Am nächsten Morgen erzählte sie, Coleman habe sich im Wohnzimmer sämtliche Kleider vom Leib gerissen und gerufen: »Nimm mich, ich gehöre dir.« Sie hat den hochangesehenen Kritiker dann gebeten, sich wieder anzuziehen, und ihn schließlich zur Tür begleitet.
Liz heiratete jung, zog von Neuseeland nach Brasilien, bekam mit ihrem Mann Richard einen Sohn und eine Tochter, arbeitete als Model, trennte sich von ihrem Mann und zog nach London. Brasilien blieb ihre große Liebe, und als einmal auf einem brasilianischen Ball in London zwei Flugtickets nach Rio als Preis für das beste Karnevalskostüm vergeben wurden, rieb sie ihren nackten Körper mit weißer Creme ein und stellte sich in Pose, wobei sie sich auf einem kleinen Handwagen durch den Ballsaal ziehen ließ von ihrem neuen Freund Louis Baum, dem Herausgeber der wöchentlich erscheinenden Verlegerbibel The Bookseller , der, mit Kittel und Barett wie ein Bildhauer gekleidet, einen Meisel in der Hand hielt. Natürlich hat sie gewonnen.
Kurz bevor er die Arbeit an Grimus abschloss, wurde Liz befördert, und sie verließ die Presseabteilung bei Gollancz, um Lektorin zu werden. Sie hatte nachts in dem Zimmer geschlafen, in dem er tagsüber schrieb, und ohne sein Wissen heimlich immer wieder einen Blick ins anschwellende Manuskript geworfen. Als der Roman fertig war, brachte sie ihn heraus, so dass sein erster Roman als Autor auch ihr erster Roman als Verlegerin wurde. Nach Zafars Geburt
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