Josephus- Trilogie. Der jüdische Krieg / Die Söhne / Der Tag wird kommen.
konnten. Dann, ohne daß der junge Matthias etwas hätte merken können, haben wir sie ihm wieder zugesteckt. Der Brief ist weitergegangen auf der Jacht ›Blaue Möwe‹, wie es vorgesehen war, wahrscheinlich ist der Brief jetzt auf dem Weg nach der balearischen Insel, vielleicht ist er schon da.«
Domitian, und jetzt kippte ihm die Stimme über, fragte: »Und dieser Matthias? Die Kaiserin hat ihn nach Massilia geschickt, wenn mir recht ist. Wo ist er jetzt, dieser Matthias?« – »Der junge Flavius Matthias«, berichtete Messalin, »ist von Ihrer Majestät mit vielen kleinen Aufträgen beehrt worden. Er hat sich nach gewissen kosmetischen Mitteln umzutun, er hat den großen Augenarzt Charmis aufzusuchen und ihn womöglich mitzubringen, er hat in Massilia vielerlei zu besorgen. Ich war der Meinung, die Geschäfte der Kaiserin verlangten größte Gewissenhaftigkeit und Umsicht, und habe dafür Sorge getragen, daß Flavius Matthias in Massilia lange zu tun haben wird.«
»Interessant, mein Messalin, sehr interessant«, sagte der Kaiser, die Stimme etwas abwesend, wie es dem Messalin schien. »Massilia«, sprach Domitian weiter vor sich hin, und immer mit der gleichen abwesenden Stimme hielt er einen kleinen, nicht recht zur Sache gehörigen Vortrag über die Stadt Massilia. »Eine interessante Siedlung«, erklärte er, »und wohlgeeignet, einen jungen, wißbegierigen Herrn längere Zeit festzuhalten. Sie hat Gallien gräzisiert, meine gute Stadt Massilia, es gibt dort schöne Tempel der ephesischen Artemis und des delphischen Apollo. Es ist eine reine, unverfälschte Insel des Griechentums inmitten einer barbarischen Umwelt. Auch gibt es dort, wenn ich mich recht erinnere, interessante altertümliche Bräuche«, und so plapperte er eine Weile ziemlich sinnlos weiter.
Messalin aber antwortete nicht. Er wußte genau, der Kaiser wollte keine Antwort haben, der Kaiser wollte nur seine Gedanken verbergen, und diese Gedanken waren bestimmt nicht bei den merkwürdigen Bräuchen der Stadt Massilia.
So war es denn auch, des Kaisers Gedanken waren, während er seinen Vortrag hielt, weitab von der Stadt Massilia. Lucia, dachte er vielmehr, Lucia. Ich habe ihr soviel geopfert, ich habe mich versündigt an Jupiter und an meinen neuen Söhnen ihrethalb, ich habe ihr die Rückrufung dieser Domitilla versprochen, und so lohnt sie es mir. Auf dem Palatin und in meiner Nähe trocknen die Herzen aus, schreibt sie. Und plötzlich, ziemlich abrupt, unterbrach er sich und begann vor sich hin zu pfeifen, höchst unmelodisch und mangelhaft, und der erstaunte und amüsierte Messalin erkannte die Melodie, es war jenes Couplet aus der letzten Posse: »Auch ein Kahlkopf kann ein schönes Mädchen haben, / Wenn er Geld genug dafür bezahlt.«
Nach wie vor dachte Messalin nicht daran, des Kaisers Gedanken zu stören. Der aber wachte plötzlich aus seinen Betrachtungen auf, er hatte sich gehenlassen, er hatte sich versinken lassen. Nur gut, daß ihm der Blinde wenigstens nichts vom Gesicht ablesen konnte. Er riß sich zusammen, und als wäre nichts geschehen, als wäre keine Pause und kein langes Schweigen gewesen, sagte er sachlich: »Bist du deiner Sache ganz sicher?« – »Ich habe keine Augen, zu sehen«, antwortete Messalin, »aber soweit ein Blinder sicher sein kann, bin ich sicher.«
Bestimmt weiß dieser Messalin, wie sehr ihn, den Domitian, seine Nachricht mitnimmt, er sieht, wenngleich er blind ist, tief in ihn hinein, noch viel tiefer und gefährlicher als Norban, doch merkwürdigerweise hat der Kaiser vor Messalin auch nicht das leiseste Gefühl von Haß und Unterlegenheit. Nein, er ist ihm dankbar, er ist ihm ehrlich dankbar, und: »Das hast du sehr gut gemacht«, anerkennt er auch, »und ich danke dir.«
Messalin entfernte sich, im Tiefsten befriedigt. Domitian, allein, dachte über das Vernommene nach. Merkwürdigerweise verspürte er keinen rechten Groll gegen Lucia, im Gegenteil, er war ihr beinahe dankbar um das, was sie da angerichtet hatte. Denn jetzt läßt sich nicht mehr feststellen, ob sich Domitilla in die Angelegenheit seiner jungen Löwen eingemischt hätte, und ein solcher Beweis ihrer Loyalität war die Voraussetzung seines Versprechens, ihre Verbannung rückgängig zu machen. Aus dem Schreiben der Lucia erhellt geradezu, daß auch Lucia der von ihr begünstigten Domitilla die Absicht zutraute, die Knaben gegen seinen, des Kaisers und Zensors, Willen zu beeinflussen. Damit aber ist
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