Josephus- Trilogie. Der jüdische Krieg / Die Söhne / Der Tag wird kommen.
gewissenhaft und gründlich. Trotzdem – gib es zu, mein Jude – verstehst du mehr als er und weißt besser Bescheid über das, was in Judäa vorgeht.«
Eine kleine Angst flog den Josef an, trotz seiner starken
Willensanspannung. »Ja, Judäa ist schwer zu durchschauen«, begnügte er sich vorsichtig zu erwidern.
Jetzt lächelte Domitian tief, lang und böse, so daß der andere dieses Lächeln wahrnehmen sollte. »Warum sind Sie so zurückhaltend zu Ihrem Kaiser, mein Josephus?« fragte er. »Sie wissen doch offenbar um einige Vorgänge in meiner Provinz Judäa, von denen mein Gouverneur nichts weiß. Sonst hätten Sie schwerlich einen gewissen Brief geschrieben. Muß ich Ihnen sagen, was für einen Brief? Soll ich Ihnen Stellen daraus zitieren?«
»Da Sie den Brief kennen, Majestät«, antwortete Josef, »wissen Sie, daß er nichts enthält als den Rat zur Vorsicht. Leuten, die vielleicht unvorsichtig sein könnten, Vorsicht anzuraten, das, scheint mir, liegt im Interesse des Reichs und des Kaisers.«
»Das mag sein«, sagte träumerisch, immer mit dem Feldherrnstab spielend, der Kaiser, »das mag aber vielleicht auch nicht sein. Du jedenfalls«, und seine vollen Lippen verzogen sich hämisch, »scheinst es für nötig zu halten, daß jetzt wieder einmal einer aufsteht und denen in Judäa einen flavischen Feldherrn als Messias anpreist. Scheint euch Juden das flavische Haus noch immer nicht fest genug zu sitzen?« Des Kaisers großes, dunkelrotes Gesicht war jetzt unverstellt feindselig.
Josef selber hatte sich gerötet. Domitian hielt also jene Begebenheit von damals, da Josef den Vespasian in entscheidender Stunde als Messias begrüßt hatte, für einen abgemachten, ausgemachten Schwindel. Hielt ihn für käuflich, für einen Verräter. Aber er darf jetzt nicht darüber nachdenken, im Augenblick geht es um Dringlicheres. »Wir glaubten im Interesse des Kaisers und des Reichs zu handeln«, erklärte er nochmals, ausweichend, hartnäckig. »Ein wenig doch auch im Interesse eurer Juden, mein Jude, und in euerm eigenen?« fragte Domitian. »Oder nicht? Sonst hättet ihr euch doch wohl geradewegs an meine Beamten und Generäle gewandt, sie gewarnt, sie informiert. Ihr wißt doch in ähnlichen Fällen die Herren recht schnell zu finden. Aber ich kann mir schon denken, was dahinter steckt. Ihr habt glätten wollen, sänftigen, die Schuldigen vor der Strafe retten.« Er schlug mit dem Stab kleine Schläge auf das Tischchen. »Ihr seid große Zettler und Intriganten, das weiß man.« Die Stimme kippte ihm über. Sein Gesicht war jetzt hochrot. Er bezwang sich und spann weiter, was er vorhin begonnen hatte. »Die Schnelligkeit«, sagte er sanft und bösartig, »mit der du dich damals in das Spiel meines Vaters eingefügt hast, beweist Meisterschaft.«
Es traf den Josef, daß Domitian nochmals auf jene Stunde zurückkam, da er den Vespasian als Messias begrüßt hatte. Er hatte jenes Begebnis eingekapselt, er dachte nicht gerne daran. Wieweit hatte er damals geglaubt? Wieweit hatte er sich befohlen zu glauben? Deutlich sah er sich, wie er damals vor Vespasian gestanden war, ein Gefangener, gefesselt, wahrscheinlich fürs Kreuz bestimmt. Heraufbeschwor er die Wirrungen von damals, wie es in ihm gearbeitet hatte, wie die prophetischen Worte der messianischen Begrüßung aus ihm herausgebrochen waren. Jede Einzelheit sah er wieder, den Vespasian, ihn mit seinen hellen, blauen, forschender Bauernaugen musternd, den Kronprinzen Titus, mitstenographierend, Cänis, des Vespasian Freundin, mißtrauisch, feindselig. Er hatte geglaubt damals. Aber hatte er nicht doch vielleicht Komödie gespielt, um sein Leben zu retten?
Wenn er noch so tief in sich hineingrub, er hätte nicht sagen können, wo in dem, was er damals verkündet, die Wahrheit aufgehört und wo der Traum begonnen hatte. Und ist nicht der Traum die höhere Wahrheit? Da ist diese Geschichte der Minäer von dem Messias, der am Kreuze starb. Er, der Historiker Flavius Josephus, sieht die Fäden, er kann die Legende aufdröseln, er kann aufzeigen, aus welchen Einzelzügen sich die Gestalt dieses Messias der Minäer zusammensetzt. Aber was hat er damit gewonnen? Was bleibt ihm in der Hand als ein bißchen totes Wissen? Und ist nicht schließlich der Messias der Minäer, dieser geträumte, gedichtete Messias, vielleicht die bessere Wahrheit als seine nur tatsächliche, nur historische? So auch wird niemand je mit Sicherheit sagen können,
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