Josepsson, Aevar Örn
dem Griff zu befreien.
»Unser Freund hat mich gebeten, dir noch etwas auszurichten«, sagte der Schwarzgekleidete. »Das hier ist keineswegs persönlich gemeint. Ich soll dir auch sagen, dass er gegen Gewalt ist, so im Prinzip, verstehst du? Als pragmatischer Mensch weiß er aber, dass Not kein Gebot kennt. Das hier soll nur so ein kleiner Reminder sein, so ähnlich, wie wenn Leute sich ein Stück Bindfaden um den Finger wickeln, um sich an etwas zu erinnern.« Der andere Maskierte war in zwei Sprüngen bei ihnen, packte Magnús mit eisernem Griff und schlug ihm die lederbehandschuhte Hand vor den Mund, als er anfing zu brüllen. Das Knacken, das entstand, als der Mittelfinger brach, war erstaunlich laut. Blut und Wasser hatte Magnús bereits geschwitzt, doch jetzt gaben auch andere Schleusentore nach. Das Herz wollte ihm schier aus der Brust springen, als der stechende Schmerz ihn durchfuhr wie der heilige Geist.
»Pssst«, sagte der Riese und ließ die Hand des Meisters los. »Ganz ruhig, es ist ja schon vorbei.« Er zog eine Rosenschere aus der Innentasche seiner Jacke und hielt sie Magnús vor. »Ich darf mir vielleicht erlauben zu sagen, dass du riesiges Schwein hast, Meister. Ich hatte nämlich vorgehabt, die hier zum Einsatz zu bringen, verstehst du, aber unser gemeinsamer Freund hat mir das nicht gestattet. Er hat gesagt, es sei nicht nötig, du wärst im Grunde deines Herzens ein vernünftiger Mensch. Aber du darfst gewiss sein, dass sie zur Verwendung kommt, wenn dieser kleine Reminder nicht ausreicht. In Ordnung?«
Magnús murmelte etwas Unverständliches.
»Super. Wirklich riesiges Schwein, Meister«, erklärte der Peiniger in aufmunterndem Ton. »Du glaubst mir das jetzt vielleicht nicht, deswegen möchte ich dir empfehlen, dir morgen die Mittagsnachrichten anzuhören, bevor du zur Polizei gehst – damit du ganz klar siehst, was für ein Schwein du gehabt hast. Erst die Nachrichten, dann die Polizei, okay?«
Der andere Maskierte lockerte seinen Griff, und Magnús sackte auf seinem Bett zusammen.
»Ja«, murmelte er mit tränenerstickter Stimme.
»Ey, warum denn Trübsal blasen«, sagte sein Peiniger munter. »Gott wird bestimmt alles wieder gutmachen. Schlag doch einfach die Bibel auf, da findest du gewiss Trost. Bibeln hast du doch vermutlich genug, nicht wahr?«
O ja, dachte Magnús, als die beiden im nächtlichen Dunkel verschwunden waren, Bibeln habe ich genug. Ungefähr viertausend Stück. Und dieser irregeleitete junge Mann hatte sogar Recht, es war ein gewisser Trost für ihn, sie an ihrem Platz zu wissen.
»Der Herr ist mein Hirte«, murmelte er, »nichts wird mir fehlen …«
Fünf Minuten später stand er auf und bestellte ein Taxi. Der Herr war zwar gewiss sein wichtigster Lebensanker, aber ER kümmerte sich nicht um gebrochene Finger.
Einfach war es nicht, aber mit Geduld und Geschick gelang es ihm trotz des gebrochenen Fingers, den notwendigen Unterhosen-und Hosenwechsel vorzunehmen, bevor das Taxi vorfuhr.
*
»Brav, mein Junge«, sagte Guðni, während er den Gürtel seines Bademantels festzurrte. »Deine Geschichte war richtig prima, verdammt prima. Dich mag ich. Und jetzt versuch zu schlafen, amigo, du musst morgen früh gut drauf sein, wenn du mit den netten Bullen redest. Vergiss aber nicht, was passiert, wenn du den bösen Bullen linken willst, mein kleines Wölfchen. Hasta la vista .«
Er wankte zur Tür und spähte auf den Korridor hinaus. Dort war alles im tiefsten Frieden, und er traute sich loszugehen. Er machte die Tür leise hinter sich zu und tappte Schritt für Schritt am Geländer aus der Station hinaus. Im Aufenthaltsbereich machte er wieder eine Pause und kaute einen halben Stumpen, während er sich das, was Úlfur ihm gesagt hatte, noch einmal durch den Kopf gehen ließ.
»Prima Geschichte«, wiederholte er noch einmal, »verdammt prima.« Dann stand er unter Mühen auf und machte sich auf den Weg zum Aufzug. Zeit, sich hinzulegen, dachte er, allerhöchste Zeit.
4
Donnerstag
Ost oder West, das ist hier die Frage, dachte Stefán, der sich nicht entscheiden konnte. Krankenhaus oder Gefängnis? Úlfur oder Ási Stero?
Der Anruf aus dem Krankenhaus hatte ihn überrascht. Eine ältere Frau hatte ihn barsch gefragt, ob er »dieser Stefán« sei. Das hatte er friedfertig und lammfromm zugegeben, doch es hatte sie nicht milder gestimmt.
»Hier ist ein Patient, der verlangt, mit dir zu sprechen, oder mit irgendeiner Katrín oder einem Árni«, hatte sie gesagt,
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