Josepsson, Aevar Örn
nicht«, gab Katrín zu, »ich bin nie auf so einer Versammlung gewesen, aber wir können selbstverständlich mit diesem Meister reden. Nicht, dass ich mir etwas davon verspreche, denn ich halte es nicht für unwahrscheinlich, dass eben er und die WAHRHEIT es waren, die ihn so lange am Leben hielten, auch wenn sie nach seinem Tod kein sonderliches Interesse mehr für ihn aufbrachten. Ólafur hat nämlich sehr viel länger durchgehalten als viele andere Männer in seiner Situation«, fuhr sie fort. »Viel länger sogar als Leute, die wesentlich besser dran waren als er. Für viele ist das so gut wie ein Todesurteil.«
Stefán sah sie verständnislos an. »Wovon redest du eigentlich?«
»Vielleicht ist es etwas übertrieben, dass es auf viele zutrifft«, lenkte Katrín ein, »aber die Statistik besagt, dass ein ungewöhnlich hoher Prozentsatz von solchen Männern in der Psychiatrie landet, im Krankenhaus, in der Entzugsklinik oder ganz einfach im Grab, und manchmal mit vorherigem Aufenthalt in sämtlichen Institutionen, die ich genannt habe. Es sei denn, dass sie eine andere Frau finden, und zwar ziemlich bald.«
»Du sprichst von geschiedenen älteren Männern, nicht wahr?«, fragte Stefán, der sich unklar an einen Vortrag erinnerte, den er vor einigen Jahren über sich hatte ergehen lassen müssen.
»Ja, entschuldige. Männer in der gleichen Lage wie Ólafur. Ältere Männer, die, wie du gesagt hast, ihre Frauen verlieren, entweder weil sie starben oder sich nach jahrzehntelanger Ehe scheiden ließen. Wenn diese Männer in einem Jahr, maximal anderthalb, keine neue Frau finden. Besonders, wenn sie in sozialer Hinsicht schlecht gestellt sind. Viele von ihnen verkümmern schlicht und ergreifend. Das ist statistisch erwiesen, und deswegen hat es auch irgendwann einmal eine Untersuchung darüber gegeben, und dabei ist man zu diesen Ergebnissen gekommen.«
Stefán bohrte sich hektisch im Ohr. »Ich bin bestimmt einigen Männern begegnet, die in einer derartigen Situation waren«, sagte er nach kurzem Schweigen. »Ich hab sogar das dumpfe Gefühl, irgendwann mal etwas darüber gehört zu haben, was du da erzählst, aber ich erinnere mich nicht mehr so genau daran. Das ist also erforscht worden, sagst du?«
»Ja. Und es gibt da klare Zusammenhänge zwischen …«
Stefán wehrte ab. »Ich hab’s gerafft. Also, wenn meine Ragnhildur zu dem Schluss käme, dass sie die Nase voll von mir hat und mir den Stuhl vor die Tür setzt, dann muss ich mir so schnell wir möglich eine andere zulegen, wenn ich nicht total versacken will. Meinst du das?«
»Ja, etwas in der Art«, sagte Katrín lächelnd. »Besteht da irgendeine Gefahr, dass Ragnhildur die Schnauze voll von dir hat?«
»Würde mich nicht wundern«, brummte Stefán. »Ich verstehe sowieso nicht, wie sie es die ganzen Jahre mit mir ausgehalten hat. Aber da sie mich bis jetzt noch nicht aus dem Haus geworfen hat, hoffe ich, dass sie es auch noch ein bisschen länger mit mir aushält. Und das gilt wirklich nur für Männer, sagst du?«
»Soweit ich weiß, ja. Wir Frauen sind zäher …«
Es klopfte an der Tür, und ein wuscheliger Männerkopf schaute durch den Spalt herein.
»Störe ich?« Als niemand widersprach, öffnete der ungebetene Gast die Tür ganz.
»Komm rein«, sagte Stefán. »Kennt ihr euch?«, fragte er und sah Katrín und den Gast an. Die schüttelten den Kopf, auch wenn beide vom anderen wussten, wer er war.
»Nicht so richtig«, sagte der Mann und ging mit ausgestreckter Hand auf Katrín zu. »Ich heiße Þórður. Und du bist Katrín, nicht wahr?« Sie nickte und schüttelte ihm die Hand. »Soweit ich weiß, ja.«
Er lächelte strahlend. Mann, der hat ordentlich was für seinen Zahnarzt hingeblättert, dachte Katrín.
»Þórður ist Guðjóns Nachfolger im Rauschgiftdezernat, wie du vielleicht weißt«, sagte Stefán.
Das wusste Katrín. Guðjón war noch keine fünfzig, hatte aber vor einem halben Jahr gekündigt und betrieb jetzt eine Kneipe im Stadtteil Grafarvogur. Er hatte vor dem Aberwitz und der Sinnlosigkeit ihres Tuns kapituliert, so hatte er Katrín erklärt, als sie ihn kurz danach zufällig getroffen hatte; dabei war auch der Name eines gewissen Sisyphus gefallen.
»Das habe ich gehört, ja.«
»Höchste Zeit, dass ihr euch kennen lernt«, sagte Stefán mit einem seltsamen Lächeln auf den Lippen, das Katrín zu einigen Gedanken inspirierte, für die sie sich schämte, als ihr das später am Abend einfiel.
»Was können wir
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