Josepsson, Aevar Örn
hatte, so vollkommen allein auf der Welt, dass er nicht einmal Feinde hatte, wenn man seinen Angehörigen Glauben schenken durfte. Es mag ja noch angehen, dachte Árni, dass man keine Freunde hatte. Aber tiefer konnte man wohl nicht sinken, als noch nicht einmal Feinde zu haben. Doch Árni musste sich korrigieren, einen hatte er ja zumindest gehabt …
Er sah auf die Liste mit den Gegenständen, die vom Erkennungsdienst entfernt worden waren. Da stand zuoberst der Lazy-Boy-Sessel, in dem sich die Überreste von Ólafur befunden hatten. Ein großer, dunkelbrauner Fleck im Teppichboden zeigte die Stelle an, wo er gestanden hatte. Darüber hinaus waren hauptsächlich Gläser, Besteck und Körperpflegeutensilien in den Tüten von Friðjón, Eydís und den anderen Spurensicherungs-Nerds gelandet. Und natürlich die Mordwaffe, das große Brotmesser, von dem man annahm, dass es Ólafur ins Jenseits befördert hatte. Alles andere war an seinem Platz. Auf der Suche nach etwas, was ihn auf irgendeine Spur bringen könnte, begann Árni, Schränke und Schubladen zu öffnen. Es gelang ihm aber nicht, sich auf das, was er tat, zu konzentrieren, es war seiner Meinung nach in Anbetracht der Situation eine läppische Betätigung. Sie brauchten dringend einen neuen Mitarbeiter in ihrem Team, so viel stand fest. So langsam reichte es ihm, immer noch der Neuling zu sein, »der Junge«, wie Stefán ihn gerade vor einer Stunde noch genannt hatte, um ihn dann damit zu beauftragen, hier in diesem Dreck herumzuschnüffeln, während er selber und Katrín voll in Action waren. Trotzdem konnte er sich nicht vorstellen, den Kram hinzuschmeißen. Er war fünfunddreißig Jahre alt, und das war der erste Job, in dem er es länger als anderthalb Jahre ausgehalten hatte. Der erste – und einzige – Job, in dem er das Gefühl hatte, etwas Sinnvolles zu tun.
»Okay«, seufzte er, » here we go …«
Er hatte gerade den Schrank unter der Spüle geöffnet und eine beinahe leere Plastiktüte mit dem Aufdruck des Alkoholladens im Abfallkorb registriert, als er ein leises Klopfen hörte. Hólmfríður stand vor der Tür. Etwa einssiebzig groß, nur wenig jünger als er selber, schlank, mit kurz geschnittenen Haaren, knackigem Busen und ebensolchem Po. Sehr hübsch, dachte Árni und biss sich im nächsten Moment auf die Zunge.
»Komm rein«, sagte er freundlich. »Ich heiße Árni. Mein Beileid.« Dann warf er einen Blick auf den Kassenzettel mit dem Datum 26. März 2005, den er aus der Mülltüte gefischt hatte.
»Sag mal, hast du den Müll entsorgt, als du zuletzt hier warst?«, fragte er nachdenklich.
»Ja«, antwortete Hólmfríður verwundert. »Wieso?«
»Einfach so. Ich sehe, dass dein Vater am Samstag vor Ostern vier Flaschen Gin gekauft hat. Hast du eine Ahnung, wie viel er so generell getrunken hat?«
*
Stefán hätte Katrín am liebsten gebeten, an den Straßenrand zu fahren und ihn ans Steuer zu lassen, aber er biss die Zähne zusammen und klammerte sich noch fester an den Griff über der Tür. Von allen Leuten, bei denen er jemals im Auto gesessen hatte, war Katrín die sicherste und beste Fahrerin. Im Augenblick fand er zwar, dass sie angesichts der kurvigen Straße reichlich scharf fuhr, doch er wollte auf gar keinen Fall weitere Verzögerungen verursachen, die unweigerlich damit verbunden gewesen wären, anzuhalten und sich selber, den bedächtigen Großvater, hinters Steuer zu klemmen. Vor allem in Anbetracht der Tatsache, dass fast eine halbe Stunde damit vergangen war, alles Nötige zu organisieren, bevor sie endlich losfahren konnten.
»Der Dienstweg«, sagte er, »den werde ich als Erstes in Angriff nehmen. Der muss vereinfacht werden. Das geht einfach nicht, dass man zuerst mit Jón und Pétur und Páll reden muss, um …« Er verstummte mitten im Satz.
»Um was?«, fragte Katrín, während sie einen Lastwagen mit Anhänger überholte. »Und was meinst du damit, das Erste, was du tust, wenn?«
Stefán schloss unwillkürlich die Augen und öffnete sie erst wieder, als er sicher zu sein glaubte, dass sie das Ungetüm überholt hatte, ohne mit dem entgegenkommenden Jeep zusammenzukrachen, den er eben noch gesehen hatte..
»Um beispielsweise einen Mann in einem anderen Zuständigkeitsbereich festnehmen zu können, wenn sich das als notwendig und opportun erweisen sollte«, sagte er schließlich. »Im Prinzip dürfte das doch gar kein Thema sein, aber wenn es darauf ankommt …« Er versuchte, so lässig und unbekümmert mit
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