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Joyland

Titel: Joyland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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mein Blick auf meine Füße gerichtet. Ich war stehend k. o. und sehnte mich nach einem Schinken-Käse-Sandwich aus Betty's Bakery und zwei Flaschen Bier aus dem 7-Eleven eine Tür weiter. Ich würde mich in meinem Zimmer ans Fenster setzen und während des Essens Tolkien lesen. Ich war mitten in den Zwei Türmen.
    Als ich die Stimme des Jungen hörte, schaute ich auf. Der Wind wehte mir entgegen, sodass ich ihn gut verstehen konnte. »Schneller, Mama! Du hast …« Ein Hustenanfall unterbrach ihn vorübergehend. »Du hast es gleich geschafft! «
    Mikes Mutter saß heute Abend nicht unter ihrem Sonnenschirm, sondern lief mir den Strand entlang entgegen. Sie sah mich nicht, weil sie zu dem Drachen hochschaute, den sie sich über den Kopf hielt. Die Schnur führte zurück zu dem Jungen, der am Ende des Plankenwegs in seinem Rollstuhl saß.
    Falsche Richtung, Mama, dachte ich bei mir.
    Sie ließ den Drachen los. Er stieg ein, zwei Meter, wackelte neckisch hin und her und stürzte dann in den Sand. Dort wurde er vom Wind erfasst, und sie musste ihm hinterherrennen.
    »Noch einmal!«, rief Mike. »Diesmal …« Hust-hust-hust, ganz tief aus der Lunge. »Diesmal hast du's fast geschafft gehabt. «
    »Nein, hab ich nicht.« Sie klang erschöpft und stocksauer. »Das verdammte Ding hasst mich. Los, gehen wir rein, und machen wir uns was zu essen …«
    Milo saß neben Mikes Rollstuhl und beobachtete die abendliche Aktivität mit leuchtenden Augen. Als er mich sah, schoss er sofort los und fing an zu bellen. Während er auf mich zurannte, musste ich daran denken, was mir Madame Fortuna prophezeit hatte, als wir uns das erste Mal begegnet waren: In deiner Zukunft sehe ich ein kleines Mädchen und einen kleinen Jungen. Der Junge hat einen Hund.
    »Milo, komm zurück!«, rief die Mama. Wahrscheinlich hatte sie sich die Haare zu einem Pferdeschwanz zurückgebunden, bevor sie zum Strand runtergegangen war, aber nach mehreren Flugversuchen hingen sie ihr nun in Strähnen herunter. Sie strich sie sich mit beiden Händen müde aus dem Gesicht.
    Milo schenkte ihr keine Beachtung. Er schlitterte mir ein Stück entgegen, wobei er mit den Vorderpfoten Sand aufwirbelte, und setzte sich dann auf die Hinterpfoten. Ich lachte und tätschelte ihm den Kopf. »Tut mir leid, Kumpel – heute Abend gibt's kein Croissant.«
    Er bellte mich einmal an und trottete dann zur Mama zurück, die knöcheltief im Sand stand, schwer schnaufte und mich argwöhnisch musterte. Der eingefangene Drachen hing ihr zwischen den Beinen.
    »Sehen Sie?«, sagte sie. »Deshalb habe ich gesagt, Sie sollen ihn nicht füttern. Er bettelt alle Leute an und glaubt, jeder, der ihm was gibt, ist sein Freund.«
    »Na ja, ich bin halt ein freundlicher Mensch.«
    »Gut zu wissen«, sagte sie und wandte sich ab. »Solange Sie nur unseren Hund nicht noch mal füttern.« Sie trug eine Caprihose und ein altes blaues T-Shirt mit einem verblassten Aufdruck vorn drauf. So verschwitzt, wie sie war, versuchte sie schon eine ganze Weile, den Drachen in die Luft zu kriegen. Offenbar hatte sie sich ordentlich angestrengt – und warum auch nicht? Wenn mein Sohn im Rollstuhl säße, würde ich ihm auch etwas bieten wollen, was fliegt.
    »Sie sind damit in die falsche Richtung gelaufen«, sagte ich. »Und Sie müssen auch nicht rennen. Ich weiß nicht, warum alle Leute das meinen.«
    »Sie kennen sich bestimmt ganz toll damit aus«, sagte sie, ohne sich zu mir umzudrehen. »Aber es ist spät, und ich muss Mike das Abendessen richten.«
    »Mama, lass es ihn doch mal probieren«, sagte Mike. »Bitte, ja?«
    Einen Moment lang stand sie mit gesenktem Kopf da, wobei ihr einzelne Locken am verschwitzten Nacken klebten. Dann seufzte sie, drehte sich um und hielt mir den Drachen hin. Jetzt konnte ich den Aufdruck auf dem T-Shirt lesen: CAMP PERRY KLEINKALIBER (LIEGEND) 1959. Die Vorderseite des Drachens war da viel interessanter, und ich musste lachen. Das Gesicht von Jesus prangte darauf.
    »Ein Insiderwitz«, sagte sie. »Fragen Sie nicht.«
    »Okay.«
    »Sie haben einen Versuch, Mr. Joyland, und dann geht er mit mir hinein. Er darf sich nicht verkühlen. Letztes Jahr war er sehr krank, und er hat sich immer noch nicht ganz davon erholt. Er ist da anderer Meinung, aber da irrt er sich.«
    Es hatte bestimmt noch 25 Grad, aber ich wollte ihr nicht widersprechen; dafür war die Mama ganz offensichtlich nicht in Stimmung. Stattdessen erklärte ich ihr ein weiteres Mal, dass ich Devin Jones heißen

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