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Joyland

Titel: Joyland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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Forelle am Angelhaken zerren. Das Nette am Drachensteigenlassen jedoch war, dass dabei nichts getötet wurde.
    »Wie hoch fliegt er?«, fragte Mike.
    »Das weiß ich nicht, aber viel höher sollte er heute Abend nicht steigen. Dort oben ist der Wind zu stark, und dann zerreißt es ihn vielleicht. Außerdem müsst ihr jetzt etwas essen.«
    »Kann Mr. Jones mit uns zu Abend essen, Mama?«
    Der Gedanke schien sie zu überraschen, und zwar keineswegs positiv. Trotzdem war sie drauf und dran, ja zu sagen, weil es mir gelungen war, den Drachen steigen zu lassen.
    »Schon okay«, sagte ich. »Vielen Dank für die Einladung, aber im Park war heute viel zu tun. Wir machen für den Winter die Schotten dicht, und ich bin von Kopf bis Fuß schmutzig.«
    »Sie können sich doch im Haus waschen«, sagte Mike. »Wir haben mindestens siebzig Badezimmer.«
    »Michael Ross, das haben wir nicht!«
    »Dann sind es eben fünfundsiebzig, und jedes mit einem Whirlpool.« Er fing an zu lachen – ein großartiges, ansteckendes Lachen, jedenfalls bis es in Husten überging. Aus dem Husten wurde ein Keuchen. Dann, als die Mama gerade anfing, wirklich besorgt auszusehen (ich war ihr einen Schritt voraus), bekam er es wieder in den Griff.
    »Ein andermal.« Ich reichte ihm die Haspel. »Dein Jesus-Drachen ist echt klasse. Und dein Hund auch.« Ich bückte mich und tätschelte Milo den Kopf.
    »Oh … okay. Dann ein anderes Mal. Aber warten Sie nicht zu lange, sonst…«
    Die Mama schaltete sich hastig ein. »Könnten Sie morgen etwas früher zur Arbeit gehen, Mr. Jones?«
    »Klar, warum nicht.«
    »Wenn das Wetter gut ist, könnten wir uns hier unten ein paar Frucht-Smoothies gönnen. Meine Frucht-Smoothies sind spitze.«
    Das glaubte ich gern. Und so würde sie auch keinen fremden Mann in ihr Haus einladen müssen.
    »Au ja«, sagte Mike. »Das wäre toll!«
    »Sehr gern. Und ich hole bei Betty's eine Tüte frisches Gebäck.«
    »Aber das ist doch nicht …«, hob sie an.
    »Es ist mir ein Vergnügen, Ma'am.«
    »Oh!« Sie sah mich bestürzt an. »Ich habe mich noch gar nicht vorgestellt, richtig? Ich bin Ann Ross.« Sie hielt mir die Hand entgegen.
    »Ich möchte nicht unhöflich sein, Mrs. Ross, aber ich bin wirklich dreckig.« Ich zeigte ihr meine Hände. »Der Drachen hat bestimmt auch was abgekriegt.«
    »Sie hätten Jesus einen Schnurrbart verpassen sollen!«, rief Mike und lachte, bis er wieder einen Hustenanfall bekam.
    »Du lässt ihm da ein bisschen viel Schnur, Mike«, sagte ich. »Hol ihn jetzt lieber rein.« Während er das tat, tätschelte ich Milo zum Abschied den Rücken, und dann machte ich mich auf den Weg den Strand entlang.
    »Mr. Jones!«, rief sie mich.
    Ich drehte mich um. Sie stand mit angehobenem Kinn aufrecht da. Das verschwitzte T-Shirt klebte ihr am Leib, und sie hatte tolle Brüste.
    »Nicht Mrs. Ross, sondern Miss. Aber da wir einander jetzt vorgestellt haben – warum sagen Sie nicht einfach Annie zu mir?«
    »Nichts dagegen.« Ich deutete auf ihr T-Shirt. »Was bedeutet eigentlich ›Kleinkaliber liegend‹?«
    »Sportschießen«, sagte Mike und tat so, als würde er mit einem Gewehr zielen.
    »Das ist lange her«, sagte sie in einem schroffen Ton, der nahelegte, dass sie über das Thema nicht reden wolle.
    Von mir aus. Ich winkte Mike noch einmal, und er erwiderte die Geste. Und grinste. Der Kleine hatte ein großartiges Grinsen.
    Vierzig oder fünfzig Meter den Strand hinunter drehte ich mich noch einmal um. Der Drachen verlor langsam an Höhe, aber noch stand er im Wind. Sie schauten beide zu ihm hoch; Annie Ross hatte ihrem Sohn die Hand auf die Schulter gelegt.
    Miss, dachte ich bei mir. Miss, nicht Mrs. Ob es wohl in diesem riesigen alten Haus mit den siebzig Badezimmern einen Mister gibt? Dass ich nie einen gesehen hatte, hieß noch lange nicht, dass es keinen gab, aber ich bezweifelte es. Vermutlich waren die beiden allein. Ganz allein.
    *
    Annie Ross ging am nächsten Morgen nicht weiter darauf ein, doch von Mike erfuhr ich dafür umso mehr.
    Und ich bekam einen wirklich umwerfenden Frucht-Smoothie serviert. Annie erzählte, dass sie den Joghurt selbst mache, und sie hatte frische Erdbeeren daruntergehoben, die sie weiß Gott woher hatte. Ich hatte von Betty's Bakery Croissants und Heidelbeermuffins mitgebracht. Mike ließ sich davon nicht verlocken, aber er trank seinen Smoothie aus und wollte dann noch einen. Seiner Mutter klappte die Kinnlade herunter, was mich vermuten ließ, dass dies eine

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