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Judasbrut

Judasbrut

Titel: Judasbrut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sabine Fink
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Er trug eine
dunkle Stoffhose und einen grauen Rollkragenpullover. Seine Haare waren
vermutlich einmal schwarz gewesen, inzwischen aber mit allerlei
Grauschattierungen durchsetzt, die in weichen Wellen sein Gesicht umrahmten.
Für Marias Geschmack trug er sie zu lang.
    Sie
stupste Michelle unauffällig an, damit sie mitkam, denn ihr Blick war an einem
Bild von drei Schwänen hängen geblieben, die anmutig über eine Düne flogen.
    Gewohnheitsmäßig
hielt Maria ihren Dienstausweis hoch, obwohl sie Leibl ja bereits kennengelernt
hatte. »Grüß Gott, Professor Leibl.«
    Leibl
gab erst Maria, anschließend Michelle die Hand. Sein weicher Händedruck passte
zu seiner friedfertigen Erscheinung. »Es ist schön, Sie wiederzusehen, Frau
Kommissarin. Wenn ich mir auch wünschen würde, die Umstände seien erfreulicher.«
Er sprach leise, doch verriet die Modulation seiner Stimme einen unbestimmten
Akzent.
    »Vielen
Dank, Professor Leibl, dass Sie heute noch Zeit für uns haben, obwohl meine
Kollegen Sie ja bereits behelligt haben«, sagte Maria. »Dürfen wir denn
hereinkommen?«
    »Oh ja,
natürlich, verzeihen Sie meine Unhöflichkeit. Bitte treten Sie ein.« Ohne
Affektiertheit, aber mit einer angedeuteten Verbeugung wies er in die Wohnung
hinein. »Bitte, gleich gegenüber ins Wohnzimmer. Machen Sie es sich bequem.
Darf ich Ihnen einen Tee anbieten? Zu so später Stunde und nach einem langen,
anstrengenden Tag tut es gut, etwas Warmes zu trinken.«
    »Sehr
gern, danke«, meinte Maria und auch Michelle stimmte zu.
    Die
beiden Frauen betraten den großen Raum, der mit einem halbrunden Erker zum
Garten ausgestattet war. Bodentiefe Fenster boten einen Blick auf die mit
Topfpflanzen und Gartenmöbel ausgestattete Terrasse und den Garten, der langsam
im Dämmerlicht versank.
    »Meine
Fresse«, entfuhr es Michelle, die sich bemühte, ihre Stimme so weit wie möglich
zu dämpfen. »Sieht ja aus wie in einem Schloss hier.«
    Ein
goldener Kronleuchter hing von der stuckverzierten Decke herab. Dessen
Befestigungshaken wurde von einem fein gearbeiteten Kranz aus Schwalben und
einem zweiten aus Eichenblättern umringt. Das Mobiliar aus massivem, poliertem
Holz wirkte gediegen und passte zu dem gehobenen Ambiente, das der Raum
verströmte. Zwei Wände waren mit vollgestopften Bücherregalen ausgestattet.
Manche sahen aus, als zerfielen sie bei der nächsten Berührung, andere wirkten,
als hätte sie nach dem Kauf niemand überhaupt aufgeschlagen. Neugierig warf
Maria einen Blick auf die Titel. Eine besondere Ordnung schien es nicht zu
geben, denn Ernest Hemingway stand zwischen einem Buch über die Fußball-EM des
Vorjahres und einem Werk, dessen Schrift vermutlich Hebräisch war. Es gab
moderne Romane, aber auch ältere Literatur wie ›Das Beil von Wandsbek‹ des
Schriftstellers Arnold Zweig.
    »Wow,
da steht jemand auf Fotos.« Michelle beugte sich neugierig über ein Sideboard,
auf dem in mehreren Reihen mehr als zwei Dutzend gerahmte Aufnahmen aus den
letzten fünf Jahrzehnten standen. »Das hier ist bestimmt noch nicht alt, denn
da sieht Frau Eichmüller aus wie auf dem Fahndungsfoto. Sie ist echt hübsch.
Und ihre Mutter und ihr Bruder sehen ihr total ähnlich – guck
mal.«
    Maria
warf einen mäßig interessierten Blick darauf, bevor sie sich auf den wuchtigen
rotbraunen Ledersessel setzte, dessen hohe Rückenlehne durch die tief
liegenden, eingenähten Knöpfe im typischen Rautenmuster den Chesterfield-Stil
aufwies. Michelle nahm auf einem zweiten Sessel Platz. Kurz darauf betrat Leibl
den Raum mit einem Tablett, auf dem sich drei filigrane Porzellantassen und
eine Schale mit Gebäck befanden.
    »Der
Tee kommt sofort.« Er zündete die Kerze in dem Stövchen an, das bereits auf dem
Tisch stand. »Bitte bedienen Sie sich.« Mit einer eleganten Handbewegung
deutete er auf das Gebäck, während er sich auf dem Sofa niederließ.
    Maria
nickte höflich lächelnd. »Es tut mir leid, dass wir Ihnen solche Unannehmlichkeiten
bereiten und möchte mich bei Ihnen für Ihre Kooperation bedanken. Meine
Kollegen sagten, Sie haben ihnen gestattet, sich in Haus und Garten umzusehen.«
    »Es ist
selbstverständlich, dass ich Sie bei Ihrer Arbeit unterstütze, Frau
Kommissarin. Ihre Kollegen boten mir keinen Anlass zur Beschwerde. Darüber
hinaus bin ich der Meinung, dass es besser wäre, wenn Sara bald gefunden würde,
bevor … nun ja, bevor noch mehr Unglück geschieht. Ich kann mir ihr
Verhalten einfach nicht erklären.«
    »Bei
unserem

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