Judasbrut
Obdachlose namens Gudrun Schreiber sie meinte.
»Hm«,
machte Maria desinteressiert und gab sich keine Mühe, ein Gähnen zu
unterdrücken. »Sei mir nicht bös, aber hat das nicht Zeit bis morgen?«
Für
einen angenehm langen Moment war Michelle still. Schließlich sagte sie: »Im
Februar in Nürnberg ist ein Obdachloser gestorben, der ähnliche Symptome hatte
wie Frau Schreiber.«
Maria
seufzte tief. »Welche Symptome? Sie ist ertrunken.«
»Frau
Schreiber war ziemlich krank. Wenn sie nicht ertrunken wäre, dann wäre sie vielleicht
trotzdem gestorben. Woran genau, muss ich noch mal nachsehen, dieses
medizinische Fachchinesisch kann ich mir nicht merken.«
Maria
sah auf die Straße vor sich und ließ sich sehr lange Zeit mit der Antwort.
»Morgen. Bitte.«
»Geh
ich dir auf die Nerven?«
»Nein,
überhaupt nicht.«
Michelle
lachte schallend. »In Ordnung, ich bin schon ruhig.«
Sie
fuhren durch die ruhigen, spätabendlichen Straßen, als Michelle feststellte:
»Granulomatöse Läsionen im Lungen-Parenchym.«
Maria
stöhnte. »Allmächd! Gleich läufst du!«
Ihre
junge Kollegin war tatsächlich still. Kurz bevor sie auf der Dienststelle
ankamen, sagte sie unvermittelt: »Hiliuslymphom.«
Abrupt
stoppte Maria und scheuchte die kichernde Michelle hinaus.
Donnerstag, 30. April 2009
Aus: Neustädter Landeszeitung,
›Schweinegrippe: WHO schlägt Alarm!‹
Der Schweinegrippe-Verdacht bei
einem Patienten aus der Nähe von Regensburg hat sich nach Angaben des
Bayerischen Gesundheitsministeriums bestätigt. Die Infektion mit dem H1N1-Virus
wurde durch Untersuchungen des Robert-Koch-Instituts belegt. Heute Vormittag
findet in München eine Pressekonferenz statt, auf der weitere Einzelheiten
bekannt gegeben werden sollen.
Die
Weltgesundheitsorganisation hat bereits zwei Tage nach der letzten Anhebung die
Pandemie-Warnstufe von 4 auf 5 erhöht. Die Mediziner sind sich noch nicht
einig, wie gefährlich das Virus wirklich ist. Ein Sprecher des
Robert-Koch-Instituts erklärte, es sei nur eine Frage der Zeit, dass sich die
Schweinegrippe weiter ausbreitet. »Wir können nur versuchen, das Ausmaß durch
entsprechende Hygienemaßnahmen einzudämmen. An einer Impfung wird mit Hochdruck
gearbeitet.«
Entlas-Keller am Burgberg
Das Wetter war kühl, aber
freundlich, daher zog es an diesem Abend Horden von Menschen zu den Kellern am
Burgberg. Die meisten Bänke waren bereits ganz oder teilweise besetzt. Der
unvermeidliche Grillduft ließ Marias Magen knurren, während sie am Arm ihres
stämmigen Freundes den Weg entlangschlenderte.
»Kommt
eigentlich sonst noch wer?«, erkundigte sich Olaf mit Blick auf Paul Holzapfel
und seine Frau. Dabei drückte er Maria einen feuchten Kuss auf die Schläfe,
während er nach einem geeigneten Platz Ausschau hielt.
Der
mehr als einen Kopf kleinere Holzapfel stellte sich auf die Zehen. »Da drüben!
Die gehen bestimmt bald.« Zielstrebig bahnte er sich seinen Weg durch die
Tischreihen. Maria, Olaf und Elfriede Holzapfel folgten.
»Nein,
sonst kommt niemand. Susanne hat Wehen. Sie meint zwar, es könnte falscher
Alarm sein, aber sie will nicht riskieren, hier zu entbinden.«
Olaf
lachte. »Eine Geburt auf dem Keller – das
wäre eine Gaudi.«
»Michelle
ist übers Wochenende nach Hause gefahren«, erwiderte Maria, ohne auf den Scherz
einzugehen.
»Schade.
Ich hätte sie gern kennengelernt.«
»Dürfen
wir uns zu Ihnen setzen?«, erkundigte Holzapfel sich gerade bei den beiden
Männern und der Frau. Vor ihnen auf dem Tisch standen leere Teller und halb
leere Maßkrüge. Die Frau schien nicht sehr begeistert über die Gesellschaft,
machte aber Platz und rutschte näher zu dem dicken, langhaarigen Mann. Ein
zweiter mit Baseballcap und Brille beobachtete mehr oder weniger gelangweilt
die Gegend.
»Wie
weit seid ihr im Fall Eichmüller?«, erkundigte sich Holzapfel eifrig mit
gesenkter Stimme.
Seine
Frau verdrehte die Augen. »Paul! Du hast Feierabend.«
Olaf
beugte sich in Elfriedes Richtung. »Berufskrankheit«, sagte er düster. »Wir
sollten Höchststrafe für die beiden fordern, wenn sie auch nur ein Wort über
ihre Fälle verlieren.«
»Höchststrafe?
Wie war das mit Berufskrankheit, Herr Richter?«, beschwerte sich Maria.
»Oh,
ich dachte, Sie sind Staatsanwalt«, warf Elfriede ein.
Olaf
lächelte bemüht freundlich. »Ja, das bin ich.«
»Er
heißt Richter«, bemerkte Maria. Olaf hasste dieses Wortspiel, aber manchmal
konnte sie einfach nicht
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