Judasbrut
letzten Gespräch sagten Sie, Sie wissen von Dr. Eichmüllers Affären … «
»Ich
wusste nicht davon, ich ahnte es«, korrigierte Leibl freundlich, aber bestimmt.
»Jedoch neige ich nicht dazu, mich in Angelegenheiten einzumischen, die mich
nichts angehen. Deswegen habe ich das weder Sara noch Leonhard gegenüber
thematisiert.«
»Ah.«
Maria war nicht sicher, ob sie das glauben sollte.
»Es
wäre wünschenswert, dass sich alles so schnell wie möglich aufklärt«, fuhr
Leibl fort. »Allein wegen Elias. Der arme Junge. Er leidet sehr unter der
Situation. Die Schule und die ganzen Chorproben – es ist
schwer für ihn. Aber er ist ein guter Schüler und auch ein guter Sänger.
Hoffentlich wirft es ihn nicht zurück. Deswegen möchte ich alles tun, damit die
Sache bald ein Ende hat. Und nun entschuldigen Sie mich bitte, ich hole den
Tee.« Er verließ den Raum.
Michelle
runzelte die Stirn. »Irgendwie ist er ein komischer Kauz«, sagte sie leise.
Bevor
Maria antworten konnte, hörte sie, wie sich die Eingangstür öffnete.
» Matthew ? Are you here ?« Dem kehligen Akzent nach zu urteilen, war der Sprecher
ein Amerikaner.
» In the kitchen, Bill. You like to have a cup of tea ?«
» Would be quite nice – plus a headache tablet. It was an awful day at the office,
finally all that flurry of excitement … « Er gab ein entnervtes Stöhnen von sich. »Oh, Matthew, du hast
Besuch … William Bennett.« Der Mann begrüßte Maria und Michelle mit festem
Händedruck.
Maria
und Michelle sahen sich verdutzt an. Der braun gebrannte Bennett wirkte, als
sei er soeben einem Modemagazin entstiegen. Leibl stellte eine weitere Tasse
auf den Tisch und goss Tee ein.
»Ich
hoffe, ich störe Sie nicht. Aber mir war nach Gesellschaft.« Er schenkte Leibl
ein perlweißes Lächeln, das dieser verlegen erwiderte.
Maria
hatte ihre Gesichtszüge besser unter Kontrolle als Michelle, die hastig nach
einem Keks griff und ihn sich in den Mund stopfte. Ihre Kaubewegungen wirkten
verkrampft.
»Bill
wohnt in der Wohnung in der ersten Etage«, informierte Leibl und räusperte
sich. »Wir … kennen uns schon länger, und nachdem meine Schwägerin zu
Jahresanfang verstarb, übernahm er meine alte Wohnung und ich zog hier
hinunter. Für mich allein war das Haus ja zu groß.«
»Wohnt
nicht noch jemand im Haus? Ich habe drei Namensschilder gesehen«, warf Michelle
ein.
Mit
abgespreiztem kleinen Finger löffelte Bennett gerade Zucker in seinen Tee. Kaum
merklich hielt er inne und sah Leibl an. Ohne den Blick zu erwidern, antwortete
Leibl: »Das Appartement unter dem Dach wurde möbliert an Studenten vermietet.
Zuletzt hat es eine junge Studentin bewohnt, die jedoch inzwischen zurück in
ihre Heimatstadt gezogen ist. Ich habe das Schild noch nicht abmontiert.«
»Und da
lassen Sie die Wohnung einfach leer stehen?«, wunderte sich Michelle. »Hier
gibt es doch bestimmt viele andere Studenten … «
»Oh,
das ist meine Schuld«, mischte sich Bennett da ein. Er trank einen winzigen
Schluck Tee. »Ich habe zu Matthew gesagt, Studenten feiern bestimmt andauernd
Partys oder bekämen viele Besucher und ich brauche meine Ruhe, wenn ich abends
aus dem Büro komme.« Er zog die Augenbrauen hoch und klimperte mit den Wimpern.
» It would be so annoying! «
Verstohlen
sah Maria auf ihre Uhr. Sie war müde und wollte so schnell wie möglich nach
Hause. Etwas abrupt wandte sie sich wieder Leibl zu: »Sie waren also heute im Institut.
Haben Sie Dr. Eichmüller dort gesehen?«
»Ja,
natürlich. Er ist immer noch ein wenig mitgenommen, deswegen ist er bereits
zeitig gegangen. Das ist sonst nicht seine Art. Er arbeitet immer sehr lange
und es gibt im Moment viel zu tun. Die ganze Welt ist ja in Aufregung wegen der
Schweinegrippe.«
»Ich
dachte, das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe ist dafür
zuständig«, sagte Michelle. »Und das Robert-Koch-Institut.«
Leibl
lächelte mild. »Natürlich, aber nicht allein dort sitzen die Experten. Ich
stehe in engem Kontakt mit dem RKI.«
» Oh
yes !«, stöhnte Bennett theatralisch. »Was wärst du ohne deine Keime. Du
verehrst sie, betest sie geradezu an! Sie sind deine Religion! Und wenn man dir
zuhört, dann bekommt man Kopfschmerzen und Fieber oder Durchfall.« Er
schüttelte sich demonstrativ. Leibl schmunzelte. Das liebevolle Geplänkel
schien die Regel zwischen beiden zu sein.
Das
Telefon klingelte. Leibl entschuldigte sich und verließ den Raum, um das
Gespräch entgegenzunehmen.
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