Judasbrut
damit Eichmüller nichts
hörte, »jemand muss zu Cohen. Ich will wissen, wo er heute war. Michelle kennt
alle Details, falls du was nicht weißt.« Die Genannte nickte eifrig und wirkte
ein bisschen stolz. »Michelle, würdest du bitte die Nachbarschaft abklappern.
Aber nimm dir jemanden mit.«
Michelle
verließ mit Jochen die Wohnung. Maria schob Eichmüller beiseite, um Franz Meyer
von der Spurensicherung durchzulassen, der sich kurz umsah, wieder hinausging,
um bald mit einer ganzen Schwadron wiederzukommen. Maria wandte sich an
Eichmüller. Während sich Biancas kleine Wohnung in einen geschäftigen
Ameisenhaufen verwandelte, erfuhr Maria von Eichmüller, dass er gegen 14:15 Uhr
das Institut verlassen hatte. Er hatte im Café Mengin auf dem Schlossplatz
gegessen. Später war er in der Innenstadt unterwegs gewesen, um sich Schuhe zu
kaufen, als Biancas Anruf ihn erreichte.
»Weil
sie krank war, habe ich sie seit letztem Dienstag nicht mehr gesehen – sie
wollte mich nicht anstecken. Wir haben jeden Tag telefoniert, erst heute Morgen
noch, dabei hat sie mir gesagt, es ginge ihr besser. Sie wollte mich wieder
anrufen, um mir zu sagen, wann ich sie besuchen könne.« Bedrückt rieb er sich
die Augen. Er schien sich Vorwürfe zu machen, weil er Sara unterschätzt hatte.
»Es
klingt, als sei Frau Esser ernsthaft krank gewesen«, meinte Maria. »Was hatte
sie denn?«
»Wie?
Oh, was sie hatte? Einen grippalen Infekt. Fieber, Husten. Recht unangenehm.«
»Haben
Sie eine Idee, was Sara dort im Arbeitszimmer gesucht haben könnte?«,
erkundigte sich Maria. »Hat Frau Esser dort Wertgegenstände aufbewahrt? Geld
vielleicht? Ihre Frau könnte möglicherweise welches benötigen. Oder
Kompromittierendes? Fotos?«
Eichmüller
zuckte lediglich mit den Schultern.
»Würden
Sie bitte mit mir durch die Wohnung gehen, um nachzusehen, ob Ihrer Meinung
nach etwas fehlt?«
Maria
führte Eichmüller durch die gesamte Wohnung. Lediglich Biancas Laptop war nicht
auffindbar. Papiere, Bargeld, Handy, Schmuck und sonstige Wertgegenstände
schienen vollzählig. Schließlich schickte Maria ihn nach Hause – diesmal allerdings bekam er persönlichen Schutz.
»Ist
das nicht seltsam, dass von den Nachbarn niemand etwas gesehen und gehört
hat?«, fragte Michelle, als sie von ihrer Tour zurückkam.
Jochen,
der die ganze Zeit mit Argusaugen über den Ameisenhaufen aus Beamten wachte,
zuckte mit den Schultern. »Das Problem haben wir häufiger. Wie die drei Affen:
Nichts hören, nichts sehen, nichts sagen. Besonders in solch großen
Wohnanlagen, in denen niemand den anderen kennt. Ist schon schlimm.«
Maria
hing ihren Gedanken nach und äußerte sich nicht dazu. Warum hatte Sara sich an
Bianca gerächt, wo Eichmüller ihr versichert hatte, Bianca sei Sara eigentlich
egal gewesen und es ginge nur um ihn? Warum hatte Sara keinen zweiten
Mordversuch an ihm unternommen? Wer war bei Sara gewesen? Und was war auf
Biancas Computer?
»Jochen,
hast du was von Cohen gehört?«, fragte Maria nach einer Weile.
»Nein«,
antwortete er. »Soll ich in Neustadt nachfragen?«
»Das
erledigte ich selbst. Machst du hier den Rest? Ich fahre mit Michelle noch zu
Leibl. Er ist Saras nächster Verwandter.«
»Kein
Problem.« Jochen hielt sich die Hand vor den Mund, um ein Gähnen zu verbergen.
»Ich sag meiner Frau, Sie soll die Beschwerde wegen Überstunden an dich
schicken.«
Burgberg
Vor der imposanten
Gründerzeitvilla am Burgberg mit ihren Erkern und Türmchen parkte ein
Streifenwagen, an dem zwei uniformierte Beamte lehnten, die sich angeregt
unterhielten. Es dämmerte bereits.
»Wow«,
entfuhr es Michelle, als sie neben Maria die Stufen zum Eingang hinaufstieg.
»Du
sagst es.« Mit dem Zeigefinger fuhr Maria die goldenen Namensschilder entlang.
Zuoberst stand Wiesinger, dann folgten Bennett und Leibl. Sie drückte auf den
nebenstehenden Knopf.
Nachdem
der Summer ertönt war, betraten sie den Hausflur, der eher die Bezeichnung
Empfangshalle verdiente. Mit halb offenem Mund bewunderte Michelle die
Stuckdecke, deren Ornamente mit Gold und Pastellfarben betont wurde. An der
Wand hingen kunstvolle Gemälde und auf einem Tisch stand ein frischer
Blumenstrauß. Eine Steintreppe führte in die oberen Stockwerke.
» Shalom ,
Frau Kommissarin!« Ein mittelgroßer Mann Mitte sechzig mit freundlichen
Gesichtszügen, einer auffallend großen, spitz zulaufenden Nase und sanften,
dunklen Augen stand ihnen schräg gegenüber im Rahmen einer Tür.
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