Judasbrut
holte sein Handy, damit Maria die Nachricht lesen
konnte. Er lächelte leicht. »Ich habe ihr geantwortet und dachte, es wird alles
gut.«
»Könnte
Nina vielleicht heute morgen irgendwo hingegangen sein, wo sie ihr Handy nicht
an hat? In die Sauna vielleicht?«
Jens
schüttelte den Kopf. »Daran hatte ich auch gedacht und hab vorhin ihre Sachen
durchgesehen, aber es sieht nicht aus, als würde etwas fehlen. Ihr Bademantel
hängt im Bad. Wo geht man denn sonst hin, wo mein sein Handy nicht anhaben
darf? Außerdem war sie ja schon weg, als ich kam. Da ist es noch viel zu früh
für die Sauna. Und nur schwimmen geht sie eigentlich nie.«
»Du
hast recht. Ich würde vorschlagen, du rufst überall an, wo sie möglicherweise
sein könnte. Sag einfach, Ninas Handy ist kaputt und du hattest Nachtschicht
und weißt nicht, wo sie ist, musst sie aber dringend sprechen … wegen
der Baustelle oder so. Lass dir was einfallen.«
Jens
kaute auf seiner Unterlippe. »Oder soll ich nicht einfach warten? Ich meine,
vielleicht kommt sie ja gleich und wir machen uns nur verrückt.«
Maria
tätschelte ihm das Knie. »Kann gut sein. Aber wenn du mich fragst, drehst du
völlig am Rad, wenn du nicht irgendetwas tust. Sonst hättest du mich auch nicht
gebeten herzukommen.«
»Hast
recht.«
Während
Jens telefonierte, ging Maria in die Küche. Sie brauchte einen Moment für sich
allein, um ihre Gedanken zu sortieren. Es war mehr ein Gefühl, als ein
greifbarer Sachverhalt, dass irgendetwas nicht ins Bild passte. In Gedanken
fasste sie die Fakten zusammen: Nina brachte die Sprache auf ein Kind. Jens
gestand ihr seine Unfruchtbarkeit. Nina war betroffen, aber nicht am Boden
zerstört – dagegen sprach die SMS.
Was
konnte sonst noch passiert sein? Was hatte sie so aus der Fassung gebracht,
dass sie sang- und klanglos verschwunden war?
Aus dem
Wohnzimmer hörte sie Jens telefonieren. Sie wollte ihn nicht stören, außerdem
hatte er bestimmt nichts dagegen, wenn sie sich ein Glas Wasser nahm. Während
sie sich beides holte, blieb ihr Blick am Kalender neben dem Küchenschrank
hängen. Nina hatte Jens am Dienstag beim Frühstück den Vorschlag wegen des
Kinderzimmers gemacht. Maria fixierte das Datum.
19.
Mai.
Sie
überflog die Termine und schloss die Augen, um zu überlegen, ob das Datum
irgendeine Bedeutung haben konnte. Es gab zumindest keine offensichtliche. Mit
einem Mal blitzten zwei Gedanken gleichzeitig auf.
Sie
waren absurd. Vielleicht zu absurd. Aber hatte sie nicht schon oft erlebt, dass
genau diese Dinge Realität waren?
Sie
blätterte ein Kalenderblatt zurück, suchte die Osterferien. Der 19. April war
der letzte Feriensonntag gewesen. Sie war damals mit Franzi aus dem Urlaub zurückgekommen
und Nina war mit Jens in der Fränkischen gewesen. Mit dem Zeigefinger fuhr sie
die Tage weiter rückwärts. Anfang April war neben dem Datum an mehreren Tagen
jeweils ein kleines Kreuz. Sie blätterte zum März. Dort waren ebenfalls
Markierungen. Noch weiter zurück. Schließlich zurück zum Ferienende und bis zum
heutigen Datum – dort jedoch gab es nirgendwo die Kreuze.
»Ach du
Scheiße!«, entfuhr es Maria.
Die
Kreuze im Kalender konnten sonst was bedeuten, aber viele Frauen markierten so
ihre Periode, und wenn Nina diese seit Anfang April nicht mehr gehabt hatte,
konnte das nur eins bedeuten: Sie war schwanger, und wie sie seit gestern
sicher wusste, war sie das nicht von Jens. Das konnte eine Erklärung sein,
warum sie unbedingt mit Maria hatte reden wollen. Aber warum hatte sie nicht
gewartet und war stattdessen wie vom Erdboden verschwunden? Wollte sie heimlich
einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen lassen? Freitagnachmittags und am
Wochenende eine eher unwahrscheinliche Option. Außerdem glaubte sie nicht, dass
ihre Freundin kopflos eine solch folgenschwere Entscheidung treffen würde – ganz
allein und ohne wenigstens mit irgendjemandem vorher zu reden. Mit ihr zum
Beispiel, die zumindest von der Vergewaltigung wusste – womit
sie wieder bei der Ausgangsfrage angelangt war. Wo zum Teufel steckte Nina?
Maria
dachte kurz nach. Sie konnte Jens keinesfalls damit konfrontieren, solange es
nur ein Verdacht war. Falls Maria sich irrte und Nina nicht schwanger war und
es irgendeine vollkommen harmlose Erklärung für Ninas Verschwinden gab, dann
würde Maria die sowieso schon schwierige Situation nur noch verschlimmern.
Jens
telefonierte immer noch im Wohnzimmer, also hatte sie noch Zeit. Vielleicht gab
es ja etwas, das
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