Judasbrut
Aviv.
Das hat Abba ihr vorhin noch gesteckt!«
»Sara!
Mach ihm keine Vorwürfe. Er ist jetzt schon überfordert mit alldem! Wir hätten
ihn gar nicht mit reinziehen dürfen.«
Sie
schnaubte noch einmal verärgert und warf dabei die Hände in die Höhe. Ohne
darauf einzugehen, schob Perez, der ein Hemd locker über der Hose trug, dieses
hoch und kontrollierte, ob sein Messer sich an Ort und Stelle befand. Dann zog
er aus einem Innenhalfter an seinem Hosenbund eine Pistole hervor. Er ließ die
Munition in seine Hand gleiten. Nina sog hörbar die Luft ein.
Perez
verdrehte die Augen. »Ich bin nicht blöd, verstanden? Abba hat gesagt, sie habe
sich für die Fotos interessiert. Sie muss sich dabei etwas gedacht haben!«
»Willst
du sie entführen, wie Nina?«, erkundigte sich Sara spitzzüngig. »Oder spielst
du den Helden und spazierst mit deinem Spielzeug in der Hand einfach in die
Polizeiinspektion hinein?«
»Nein,
ich seile mich von einem Hubschrauber auf das Dach ab«, bemerkte Perez zynisch.
Mit einem scharfen ›Klick‹ ließ er die Munition einrasten. »Andere brauchbare
Ideen, meine Damen?«
Beide
Frauen schwiegen. Mit einem gereizten Stöhnen sank Sara auf das Sofa und legte
den Kopf hinten auf die Lehne.
Perez
setzte sich ebenfalls. Allerdings stützte er die Ellbogen auf seine Knie und
legte nachdenklich die Handflächen aneinander. »Du wirst sie anrufen, Sara, und
ihr sagen, dass du sie treffen willst. Allein.«
»Natürlich
wird sie auch ganz allein kommen«, stellte Sara sarkastisch fest. »Träum
weiter, Perez!«
»Sie
war auch hier allein«, gab Perez zu bedenken. »Sie rechnet nicht mit mir, und
selbst wenn sie nicht allein kommt, kann ich vielleicht … «
»Wenn
du festgenommen wirst … «
»Ich
gehe kein Risiko ein!«
Müde
hob Sara den Kopf. »Nein. Jeder andere, aber du nicht.«
Nina
kaute auf ihrer Lippe herum und rang mit sich. Schließlich sagte sie leise:
»Ich … habe vielleicht eine Idee.«
KPI Erlangen
Seit über einer Stunde saß
Michelle gegenüber von Maria und beschäftigte sich konzentriert mit den
Obduktionsberichten. Maria hingegen ging zu viel durch den Kopf, sodass sie
sich nur um belanglosen Kleinkram kümmern konnte. Vergeblich suchte sie immer
wieder in Gedanken nach einem Zusammenhang zwischen dem Fall Eichmüller und der
Entführung Ninas. Vielleicht war es Zufall?
Cohen
hatte – oh Wunder – noch einmal über seinen Anwalt verlauten lassen, dass er
unschuldig sei und nichts mehr zu sagen habe. Es waren unter anderem seine
Fingerabdrücke, die sie in Biancas Wohnung und auf dem Handy, das sie bei sich
trug, gefunden hatten. Der DNA-Vergleich mit den Spuren aus dem Bad dauerte
noch, aber es schien wahrscheinlich, dass es auch seine waren. Allerdings
brachte es sie kaum weiter, denn er hatte ja zugegeben, Bianca besucht zu
haben. Andere handfeste Beweise seiner Beteiligung hatten sie immer noch nicht.
Michelle
tippte unvermittelt kräftig auf eine einzelne Taste und sah auf. »Schräge
Familie irgendwie.«
Maria
kritzelte gerade mit einem Kugelschreiber auf ihrer Schreibtischunterlage herum
und hielt inne. »Was?«
Mit
verschränkten Armen lehnte sich Michelle zurück. »Professor Leibl ist 1970 ins
erzkonservative Erlangen gekommen und hat als verschrobener Onkel mit der
Familie seines Bruders unter einem Dach gelebt, obwohl er in New York genau im
Zentrum der Schwulenbewegung hätte sein können. Bis seine Schwägerin gestorben
ist, hat er sich ja noch nicht mal zu seinem Freund bekannt.«
»Es war
damals ein Makel«, gab Maria zu bedenken. »Vielleicht ist er einfach lieber der
Versuchung aus dem Weg gegangen? Ich glaube, für einen Homosexuellen in New
York war es nicht leicht, sich nicht eines Tages zu outen – und
sei es nur versehentlich.«
»Echt
strange, sich so verstellen zu müssen.«
»Ich
könnte mir das auch nicht vorstellen. Aber noch vor zwanzig Jahren waren Dinge,
die für uns heute normal sind, völlig undenkbar.«
»Glaubst
du, es hat irgendetwas zu bedeuten? Also für den Fall, meine ich.«
»Die
enge Beziehung zu seinem Bruder und dessen Frau erklärt zumindest, warum Leibl
sich nach deren Tod um die ganze Familie sorgt. Er ist sehr
verantwortungsbewusst.« Maria tippte mit ihrem Kugelschreiber auf der Unterlage
herum. »Ich glaube … « Sie brach ab.
Michelle
wartete, dann fragte sie. »Was?«
Maria
knetete ihre Unterlippe. »Vielleicht … «
»Wahas?«
Maria
kaute eine Weile auf dem Kugelschreiber herum,
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