Judasbrut
bis sie antwortete: »Er wirkte
sehr gedrückt, aber ich kann ihn verstehen. Er hat seine eigenen Neigungen über
viele Jahre verleugnet oder zumindest sehr gut versteckt, damit die
Familienweste schön weiß bleibt. Außerdem scheint seine Verwandtschaft in Tel
Aviv ihm wegen Cohen die Hölle heiß zu machen. Vielleicht müssen wir nur noch
ein wenig warten, bis er einknickt und uns sagt, was er weiß … Aber
was anderes. Bist du eigentlich bei den Obduktionsberichten weitergekommen?«
»Ja – und
das wird auch immer merkwürdiger. Ich blicke da noch nicht ganz durch, aber
wenn ich das richtig sehe, deuten die Symptome sowohl bei den Obdachlosen als
auch bei Frau Esser auf die Hasenpest hin.«
»Hasenpest?
Wie kommst du ausgerechnet darauf?«
»Ich
habe ein bisschen recherchiert und bin darauf gestoßen, dass es seit Kurzem
eine ganze Reihe von diesen Erkrankungen in Neustadt gibt. Die Quelle ist noch
unbekannt. Ende April gab es ein paar Fälle unter Wildtieren in Heroldsberg.
Und wenn ich jetzt zwei und zwei zusammenzähle: Frau Essers Leiche nicht weit
von Neustadt entfernt, die Leiche von Frau Schreiber in der Regnitz bei
Baiersdorf, ganz in der Nähe von Heroldsbach. Für Nürnberg habe ich allerdings
nichts Vergleichbares gefunden. Beide Leichen wurden erst nach zwei bis drei
Wochen gefunden, genug Zeit also, damit sich der Erreger verbreiten kann.«
Maria
runzelte die Stirn. »Und wie soll das passiert sein?«
»Es
gibt verschiedene Formen der Krankheit. Die äußeren betreffen die Haut und
haben meist leichtere Symptome, aber innere Formen – also
durch Erregerkontakt mittels Inhalation oder über das Blut, verlaufen in bis zu
50 % der Fälle tödlich. Je nach Konstitution des Betroffenen und je nachdem,
wie schnell jemand die richtigen Antibiotika bekommt, ist es aber gut heilbar – empfohlen wird übrigens Doxycyclin. Laut Robert-Koch-Institut ist die Krankheit
hochansteckend, jedoch nicht von Mensch zu Mensch übertragbar. Wildtiere
könnten sich infiziert haben, die Verbreitung kann durch Mücken, Zecken und
Flöhe, aber auch durch Wasser erfolgen. Denk mal an die ganzen Weiher dort und
an die Bauern, die die Wiesen mähen. Es ist nicht ungewöhnlich, dass sich
Menschen zum Beispiel beim Heu machen infizieren – vor
allem mit der inneren Form. Aber das Beunruhigende ist: Offensichtlich eignet
sich der Erreger gut zu Forschungszwecken und war schon Gegenstand in den
Biowaffenprogrammen mehrerer Länder, außerdem … «, sie
machte eine bedeutungsschwere Pause, »… kommt die innere Form bei
Laborinfektionen vor.«
»Du
meinst, Frau Esser hat sich im Institut damit angesteckt?«
»Wäre
eine Möglichkeit.«
»Und
die Obdachlosen?«
Michelle
zog eine Grimasse. »Versuchskaninchen für die Hasenpest?«
Maria
hatte spontan keine Erwiderung, die diese Idee vollkommen ausschloss. »Was
wäre, wenn Sara und Cohen hinter irgendwelchen Forschungsergebnissen her sind?
Sie versuchten Eichmüller aus dem Verkehr zu ziehen, damit Sara als seine
Ehefrau vielleicht an seine Unterlagen herankommt. Es ist schief gegangen,
daher versuchten sie es bei Bianca. Deswegen fehlt ihr Computer!«
Michelle
riss die Augen auf und nickte beifällig. »Aber warum hat Bianca sich
infiziert?«
»Gute
Frage.« Grübelnd sah Maria aus dem Fenster. Plötzlich schlug sie sich mit der
Hand vor den Mund. »Allmächd! Was, wenn die Verbindung in den Nahen Osten kein
Zufall ist?«
»Du
denkst jetzt aber nicht an Al Quaida, oder?«, fragte Michelle zögernd. »Die
Leibls sind jüdischer Herkunft und die Juden haben bestimmt nichts mit diesen
fundamentalistischen Muslimen zu tun.«
»Stimmt,
aber Perez Leibl war laut seiner Ex-Frau eine Weile im Nahen Osten und wer
weiß, mit wem er Kontakt hatte … Nebenbei gesagt hat ja auch
Israel so seine Probleme. Genau wie wir hier in Deutschland momentan mit dem kämpferischen
bündnis . Es gibt halt immer und überall Wahnsinnige, denen jedes Mittel
recht ist. Jedenfalls denke ich lieber nicht daran, was solche Leute mit
Forschungsergebnissen über irgendwelche obskuren Erreger anstellen könnten.«
Maria konnte sich einer Gänsehaut nicht erwehren.
Jetzt
war es Michelle, die sehr anhaltend ausatmete.
Maria
sah auf die Uhr. »Wir reden später weiter. Gleich müsste Jens’ Dienst beginnen.
Ich geh runter und spreche erst mit ihm und gleich anschließend mit Friedrich.
Wir müssen so schnell wie möglich einen Durchsuchungsbefehl für Leibls Haus
bekommen oder noch besser gleich
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