Judasbrut
Haustüren und Leute sahen aus dem Fenster. Nina schaute
sich immer wieder um, doch niemand schien besondere Notiz von ihr zu nehmen,
daher wagte sie sich näher an das Haus heran, wartete und beobachtete weiter.
Sie hatte ein sehr ungutes Gefühl. Nach einer Weile trugen zwei Sanitäter eilig
eine Trage mit Professor Leibl heraus. Steif und unbeweglich lag er dort, eine
Sauerstoffmaske bedeckte sein Gesicht. Ihnen folgte Bennett, mehr schwankend
als gehend, mit tränenüberströmtem Gesicht, trotzdem die Hilfe eines Polizisten
abwehrend.
Fassungslos
hielt Nina sich die Hand vor den Mund. Was war passiert? Wo waren Perez und
Sara? Die Schaulustigen um sie herum tuschelten, doch sie war viel zu nervös,
um den Gesprächen zuzuhören. Nur einige Worte und Satzfetzen schnappte sie auf.
»…
schlimme Geschichte … «
»… hab
gestern oben am Fenster jemanden gesehen. Dabei stand die Dachwohnung doch leer … «
Nina
warf einen Blick auf den Sprecher. Perez hatte bereits befürchtet, einem
Nachbarn würde früher oder später ihre Anwesenheit im Haus auffallen – auch,
wenn er und Sara sich hinten durch den Garten entfernt oder bereits in der
Garage ein Auto bestiegen hatten.
Der
Krankenwagen mit Leibl und Bennett war inzwischen abgefahren. Polizisten gingen
im Haus ein und aus. Wenn sie hier stehen blieb, lief sie Gefahr, dass einer
von Jens’ Kollegen oder am Ende sogar Jens selbst sie erkannte. Sie hatte keine
Ahnung, ob überhaupt jemand von ihrem Verschwinden wusste. Als sie den
Vorschlag gemacht hatte, über Franzi an Maria heranzukommen, hatte sie nicht
vorgehabt, dabei selbst auf den Plan zu treten. Jens konnte sie mittlerweile
als vermisst gemeldet haben. Doch Perez hatte herumtelefoniert und ihr
anschließend versichert, dass es keine Vermisstenanzeige für sie gäbe – weiß
Gott, wie er das herausgefunden hatte.
Es war
besser, wenn sie sich nicht mehr länger in der Nähe des Leibl’schen Hauses
aufhielt, denn den Gerüchten der Umstehenden zufolge war Sara festgenommen
worden. Nina hatte keine Wahl, denn sie konnte Perez nicht erreichen. Seine
Handynummer kannte sie nicht. Möglichst unauffällig ging sie zu dem Sportwagen
zurück und stieg ein. Sie fuhr los, ohne jedoch zu wissen, wohin sie eigentlich
wollte. Erst nach einer Weile stellte sie fest, dass sie sich auf den Weg nach
Frauenaurach befand – auf dem Weg heim. Tränen kullerten ihr über die Wangen, die sie
mit einer energischen Handbewegung wegwischte. Sie musste sich zusammenreißen,
denn sie wollte nicht mehr auffallen, als sie es mit dem schicken Sportwagen
sowieso schon tat. Vielleicht wäre es besser gewesen, den Wagen am Burgberg
stehen zu lassen? Was, wenn Bennett ihn bei seiner Rückkehr vermisste und am
Ende noch als gestohlen melden würde? Bennett wusste zwar, dass sie sich sein
Auto ausgeliehen hatte, doch Leibl hatte seinem Lebensgefährten gesagt, sie sei
eine Bekannte von Meir und wolle ihn im Untersuchungsgefängnis besuchen. Sie
hatten Bennett vorsichtshalber ihren Mädchennamen genannt.
Als sie
in Frauenaurach anlangte, fiel ihr ein, dass ihr Haustürschlüssel in ihrer
Handtasche war, und die lag seit Freitag in Perez Auto.
Zögernd
hielt sie am Straßenrand. Es war Montagnachmittag, und wenn sie Jens’
Dienstplan richtig im Kopf hatte, war er heute für die Mittagsschicht
eingeteilt. Bis zum späten Abend müsste sie vor der Tür warten. Bis dahin würde
sich nichts an ihrer vertrackten Situation ändern, und wenn sie Jens zuerst bei
der Dienststelle begegnete, anstatt allein zu Hause, wäre das vielleicht gar
nicht so schlecht. Perez zu erreichen war unmöglich. Sie konnte nur eins tun
und das war Schadensbegrenzung für sich selbst betreiben. Also fuhr sie mit sehr
gemischten Gefühlen in Richtung Schornbaumstraße weiter.
Sie
parkte den auffälligen Wagen ein ganzes Stück außer Sichtweite der Dienststelle
und ging das letzte Stück zu Fuß. Als sie das große Gebäude durch die Glastür
betrat, wäre sie am liebsten umgekehrt. Doch in diesem Moment kam ein Kollege
von Jens durch den Eingangsbereich, der sie erkannte. Weil sie sagte, sie habe
ihren Haustürschlüssel vergessen, bot er ihr an, Jens Bescheid zu geben. Sie
bedankte sich und erklärte, sie wolle draußen warten.
Also verließ
sie das Gebäude. Die Minuten, die sie an der Ecke zur Stinzingstraße wartete,
vergingen zäh. Dann hastete Jens aus dem Gebäude und sah sich suchend um. Als
sein Blick auf sie fiel, winkte sie und lächelte dabei
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