Judasbrut
kam sich vor wie
ein Teenager, der sich bei seiner Heimkehr am liebsten schnell in sein Zimmer
stahl, um unangenehmen Fragen oder gar Vorhaltungen über zu spätes Heimkommen
zu entgehen. Maria schob diese Gedanken beiseite – ebenso
verschob sie einen Rückruf bei Olaf, der es im Laufe des Tages mehrfach bei ihr
probiert, die Mailbox besprochen und drei SMS geschickt hatte. Im Moment gab es
genug andere Probleme. Die Tatsache, dass nur wenige Kilometer Luftlinie
entfernt biowaffenfähige Erreger in einem Labor lagen, war einfach vordringlicher.
Nachdem
Sie geduscht hatte, klingelte es an der Haustür. Im Erdgeschoss wurde die
Wohnzimmertür geöffnet. Dann hörte Maria ihren Vater durch die geschlossene
Haustür fragen, wer dort sei. Offensichtlich bekam er Antwort, denn er rief
nach ihr.
»Wer
ist denn da?«, fragte sie, als sie die Treppe herunterkam.
»Ein
Kollege von dir«, brummte Hermann Ammon, dem anzumerken war, was er von
dienstlichen Störungen um diese Uhrzeit hielt.
Maria
öffnete die Haustür einen Spaltbreit.
»Hi,
Maria! Ich bin’s Georg. Tut mir leid, aber da ist wohl was mit der Hotelbuchung
schief gegangen. Ich komme gerade aus München und ich kenne mich hier nicht
aus.« Perez hatte eine redlich zerknirschte Miene aufgesetzt und fuhr sich mit
der Hand über den rasierten Kopf. »Hast du eine Ahnung, wo ich heute Nacht
bleiben kann?«
Mit
einem Seitenblick auf ihren Vater, der den ihm Unbekannten kritisch musterte,
antwortete sie: »Oh, ja klar. Ich … ähm … komm
einfach erst mal rein … Papa, das ist Georg … ähm … «
»Georg
Wiesinger, LKA München«, sagte Perez ohne Zögern und reichte Hermann Ammon die
Hand.
»Mein
Vater«, stellte Maria überflüssigerweise vor, nur um etwas zu sagen. Der
Genannte schien zufrieden, wenn auch nicht begeistert, und schlurfte zurück ins
Wohnzimmer.
»Komm
mit hoch.« Sie lotste Perez nach oben. »Wo warst du?«, fragte sie, kaum, dass
sie die Tür geschlossen hatte.
»Wo ist
Sara?«, wollte er beinahe gleichzeitig wissen und dann: »Hast du was zu
trinken?«
Also
versorgte Maria sie beide erst einmal mit etwas zu trinken und bereitete einen
kleinen Snack zu. Perez hatte nichts dagegen einzuwenden. Mit einem Glas Wasser
in der einen und einem Leberwurstbrot in der anderen Hand ließ er sich gegen
die Rückenlehne des Sofas sinken und schloss für einen Moment die Augen.
»Sara
ist in Nürnberg im Untersuchungsgefängnis. Auf der Fahrt dorthin hatte ich
Gelegenheit mit ihr zu reden – und mit Dr. Cohen habe ich
anschließend auch gesprochen.«
»Also
glaubst du mir jetzt?« Perez blinzelte mit einem Auge in Richtung Maria.
»Vorhin warst du noch nicht ganz überzeugt.«
»Wenn
ich das nicht wäre, hättest du längst Handschellen an«, bemerkte Maria trocken.
Er
lachte leise und sie stimmte ein. Dann wurde er wieder ernst. »Hast du alles
verstanden, was Sara dir erklärt hat?«
»Ich
glaube schon«, erwiderte Maria und gab ihm einen kurzen Abriss über das, was
sie erfahren hatte. Perez beantwortete ihr noch einige Fragen, doch im
Wesentlichen schien alles gesagt. Bis auf eines. »Deine Schwester hat gelesen,
was in dem Abschiedsbrief eures Onkels stand. Aber mir ist nicht klar, warum
sie nicht darüber reden will. Euer Onkel hat etwas damit zu tun und ich möchte
von dir wissen, was das sein könnte … und
bitte, Perez«, sagte Maria eindringlich, »wenn alles stimmt, was ihr sagt, dann
ist jetzt keine Zeit für falsche Scham. Sei bitte ehrlich.«
Perez
spülte den letzten Bissen Brot mit einem halben Glas Wasser herunter. »Du hast
recht. Ich hatte die gleiche Vermutung und ich weiß jetzt sicher, dass Abba
sich schuldig fühlt.«
»Warum?«
Nun erzählte Perez, was Nina im
Krankenhaus gehört hatte.
Maria
war verblüfft. »Das passt nicht ganz zu dem, was Cohen mir erzählt hat. Was hat
dein Onkel mit Bianca Essers Tod zu tun?«, fragte sie vorsichtig, weil sie an
Perez stockender Erzählung gemerkt hatte, wie nahe ihm der Umstand von Leibls
offensichtlicher Beteiligung ging.
Perez
rieb sich mit beiden Händen über das Gesicht. »Ich weiß es nicht. Er muss es
uns selbst sagen. Aber eins ist sicher: Er ist kein Mörder!«
Sie
schwiegen beide. Maria spürte, wie ihr die Augen zuzufallen drohten. In ihrem
Kopf herrschte wirres Durcheinander.
»Es hat
keinen Zweck, so kommen wir nicht weiter. Lass uns morgen darüber reden. Du
kannst hier im Wohnzimmer schlafen, wenn du willst.«
Perez
antwortete nicht. Unter seinen Augen
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