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Judassohn

Titel: Judassohn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
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Fensterläden wurden von einer plötzlich aufkommenden Böe mit lautem Knall zugeschlagen. Das Herdfeuer duckte sich im Kamin, und die Kerzenflämmchen bogen sich und tanzten so sehr, dass sie zu verlöschen drohten.
    Das Wetter spielt mit! Ich muss nicht einmal eingreifen. So kann es öfter sein. Und es ist ein guter Augenblick, um nach dem Lohn zu fragen.
    Natalie wollte vor Schreck die weichen, feuchten Finger zurückziehen, aber Sandrine hielt sie fest. »Die Geister möchten dir deinen Wunsch gewähren«, sprach sie mit Grabesstimme. »Sie fragen nach deinen Gaben.«
    »Ich habe das Silberbesteck dabei, das wir von seiner Mutter geschenkt bekommen haben«, flüsterte Natalie furchtsam zurück. »Es soll ihnen gehören!«
    »So sei es.« Sandrine öffnete die Augen und gab die Hände ihrer Freundin frei. Sie atmete langsam durch. »Es wird dir gewährt, sagen die Geister. Noch in dieser Nacht wird dein Mann von der Krankheit heimgesucht. Kein Arzt kann ihn heilen.«
    Ich war gut. Ich war unglaublich gut!
    Natalie rieb die schweißnassen Finger am Kleid ab. Sie beeilte sich, die drei silbernen Löffel, zwei Gabeln und ein Messer auf den Tisch zu legen. »Mehr ist es nicht mehr«, sagte sie, als sie Sandrines verwunderten Gesichtsausdruck bemerkte. »Wir mussten schon viel versetzen, um Schulden zu bezahlen und das Dach ausbessern zu lassen.«
    Such dir jemand anderen, dem du was vormachen kannst. Ich durchschaue dich. Du wirst mich nicht prellen!
    Sandrine nahm das Besteck langsam in die Hand, wog es abschätzend. »Das ist nicht viel«, sagte sie tadelnd. »Ich weiß nicht, ob den Geistern das langen wird. Du hattest ihnen mehr versprochen.«
    »Was wollen Geister mit so viel Besteck? Es muss ihnen reichen«, gab sie abwiegelnd zurück. »Mehr habe ich nicht.« Sieerhob sich und warf sich den Mantel über. »Außerdem: Was wollen Geister überhaupt mit Silber? Sollten sie nicht Seelen oder Erstgeborene oder Lebensjahre verlangen?«
    Versuch nicht, die Neunmalkluge zu geben. Das kannst du nicht, Natalie.
    »Sie mögen Silber. Und Geschmeide. Geister haben Horte an verborgenen Orten angelegt, die sie beschützen und mehren.« Sandrine setzte auf die Wirkung des Übernatürlichen. »Natalie, ich warne dich! Geister vermögen mehr als Ausschlag zu bringen. Wenn man sie betrügt, wird Trauer in das Haus einziehen.«
    Die ältere Frau starrte sie ungläubig an. »Drohst du mir? Nach all den Jahren der Freundschaft?«
    Ganz recht. Ich drohe dir.
    »Nein, das würde ich niemals!«, sprach Sandrine eindringlich und legte ein zartes Beben in die Stimme, was Bestürzung und Aufrichtigkeit vermitteln sollte. »Du liegst mir am Herzen, und deswegen
warne
ich dich, Natalie. Vor den Geistern, die ich auf
dein
Geheiß gerufen habe. Jeder möchte für das, was er leistet, entlohnt werden.« Sie zeigte auf das Besteck. »Geister sind nicht dämlich. Sie werden spüren, ob du in deinem Haus noch etwas Silbernes vor ihnen verbirgst.«
    Schweigend langte Natalie in die Manteltasche und zog zwei weitere Löffel, ein Messer und zwei Gabeln aus Silber heraus, warf sie ohne einen Kommentar auf den Tisch und ging zur Tür hinaus.
    Ich wusste es. Sie hat versucht, mich zu hintergehen.
    »Eine weise Entscheidung, meine Gute! Sie haben keinen Grund, dir auf dem Weg ins Dorf Böses anzutun.« Sandrine schloss den Eingang hinter der Freundin. Kaum war die Tür zu, grinste sie breit.
    Sie muss bezahlen wie alle anderen auch.
    Sie nahm das Säckchen aus der Brühe und warf es ins Feuer,schüttete die stinkende Flüssigkeit aus dem Fenster und setzte sich an den Tisch, wo sie die Lider schloss.
    Was sie vor Natalies Augen dargeboten hatte, war das Schauspiel für einfache Gemüter, die ein solches Getue erwarteten. Es bereitete ihr obendrein großen Spaß, sich als gefährliche Kräuterkundige und Hexe darzustellen. In Wahrheit benötigte Sandrine keinen Hokuspokus.
    Mittels ihrer Gedankenkraft war sie dazu in der Lage, Krankheiten bei Mensch und Tier auszulösen, sofern sie etwas vom Opfer in der Hand gehalten hatte oder es selbst kannte. Alles andere gelang wie von selbst.
    Sandrine konzentrierte sich auf Natalies Mann und sandte ihm die Krankheit für sein Ding, dachte dabei an einen Fliegenpilz. Eine einfache Sache, die ihr nicht einmal das Ziehen in den Schläfen und das Kopfweh danach einbringen würde. Die kommenden Monate würde dieser Kerl in Verzweiflung leben und Reue zeigen.
    Er wird wieder zu einem treuen Gatten werden. Notgedrungen.

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