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Judastöchter

Titel: Judastöchter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Markus Heitz
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verfolgte sie mit Blicken und lächelte automatisch, als sie vor ihm stand. »Sie wünschen, Madame?« Er blieb gelassen, eine Hand um den Stab gelegt.
    »Nur eine Auskunft.« Boída zeigte auch ihm Mikes Gesicht. Dabei fiel ihr auf, dass der Zeremonienstab mit silbernen Beschlagnägeln versehen war. Garantiert auch kein Zufall. Alles an diesem Haus schien bestens dazu geeignet zu sein, herkömmliche Wandler abzuwehren – von Angela einmal abgesehen. »Ein Freund von mir war vor kurzem in Maghera, und ich dachte, er wäre auch Mitglied in diesem Club.«
    »Ich entschuldige mich zutiefst, aber wir geben keine Auskünfte an Herrschaften, die nicht im Club sind«, erwiderte er in perfektem Oxford-Britisch. »Fragen Sie Ihren Bekannten bitte selbst, Madame.«
    Boída nickte. »Sie sind ein guter Butler. Verschwiegen und treu.«
Und leider ohne verräterischen Duft.
Ein Hauch von Schweiß, stark riechendes Rasierwasser, etwas Talkum und eine Prise Vorsicht, aber sonst auch nichts.
    Somit hatte sie ungewöhnlichen Silberregen aus der Decke, einen Silberknauf und eine alte Zimmerdecke, von der sie Fotos gemacht hatte. Vielleicht ließ sich damit was anfangen. Ach ja, und natürlich das, was sie aus Righley rauspressen würde. Im wahrsten Sinne des Wortes.
    »Wiedersehen.« Boída ging die Stufen nach unten, verließ den Club und stand wieder auf der Straße.
    Ihr Magen grummelte laut und verlangte nach Essen. Kein Kuchen, kein gebratenes Fleisch, sondern eine lebende, warme Kreatur. Am besten ohne störende Haare.
    In Palmyra, zur Römerzeit, hatte sie sich einmal die Woche ein Neugeborenes gegönnt. Leichte Kost, die sättigte und ein zartes Aroma besaß … himmlische Umstände!
    Damit hatte Boída es vermieden, sich an zu großer Nahrung zu überfressen, wozu sie gerne neigte, wenn sie einmal am essen war. Sie konnte es nicht stoppen. Ein Schlingreflex.
    Sie trauerte den Zeiten nach. Sehr sogar.
    Boída hatte wie eine Herrscherin gelebt, an der Seite eines mächtigen Wesens, das von den Römern und den Einwohnern Palmyras gefürchtet und verehrt worden war. Der verfluchte magische Wirbel, den die beiden fremden Frauen heraufbeschworen hatten, hatte sie durch Raum und Jahrhunderte geschleudert. Die Ankunft in dieser Epoche war mehr als ein Kulturschock gewesen und hatte ihr sehr viele seelische und körperliche Wunden verursacht.
    Sie schaute einem Auto nach, betrachtete die vorbeihastenden Menschen.
    Für Boída war alles neu gewesen, sie hatte nichts gewusst. Gar nichts.
    Ein leises Schreien weckte ihre Aufmerksamkeit, und sie drehte den Kopf nach rechts.
    Keine zwanzig Meter von ihr entfernt schob eine junge Mutter einen hellblauen Kinderwagen durch den irischen Sonnenschein.
    Der süße Geschmack von Neugeborenen entstand von selbst in ihrem Mund; beinahe wäre ihr die gespaltene Zunge zwischen den Lippen hervorgeschlüpft, und sie speichelte stark. Sie musste einfach essen!
    Boída heftete sich an die Fersen der Mutter und sah sich immer wieder um. Es war zu viel auf den Straßen los, um einen Überfall zu riskieren. Außerdem hingen überall Kameras, die ihre Aufnahmen sofort an Sicherheitszentralen weiterleiteten und Bobbys aufschreckten. Sie brauchte eine Seitenstraße, um schnell zugreifen zu können.
    Die junge Frau tat ihr wirklich den Gefallen. Sie bog ab und steuerte den Kinderwagen in eine Quergasse.
    Boída verfiel in einen lockeren Trab. Die Bewegung tat ihr gut, die Wirkung der Wärmepflaster ließ allmählich nach. Schritt um Schritt holte sie zu dem Duo auf, patschend traten ihre Schuhe in kleine Pfützen.
    Das Geräusch machte die Mutter aufmerksam, und sie schaute über die Schulter. Etwas im Gesicht ihrer Verfolgerin alarmierte sie, und sie beschleunigte.
    Boída stieß ein wütendes Zischen aus und rannte los.
    »Verpiss dich, du Junkie!«, rief die Mutter und stolperte, verlor an Geschwindigkeit. »Hey«, schrie sie jetzt laut, und ihre Stimme hallte von den Wänden wider.
    Die Fenster blieben geschlossen, niemand zeigte sich.
    »Hilfe! Hört mich jemand? Hilfe, Pol…«
    Boída hatte sie erreicht, griff um ihren Hals und rammte ihren Kopf gegen die Mauer. Ohnmächtig sank die Mutter zu Boden. Der Weg zum zarten Happen war frei!
    Ein dunkel röhrender Motor ließ Boída zusammenfahren, ein helles Piepsen mischte sich darunter. Ein Müllauto bog vor ihr rückwärts in die Gasse, zwei Männer standen hinten auf den Trittbrettern und sahen genau zu ihr.
    »Schade!«, murmelte sie. Das Baby war zum

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