Judaswiege: Thriller
Chats.
[whisper to Judas_Iscariot]: Achtung. Du musst weg, wo du bist. Sie sind hinter dir her.
[whisper to Thunder]: Woher weißt du das?
[whisper to Judas_Iscariot]: Erinnerst du dich? Ich bin gut mit Computern.
[whisper to Thunder]: Wer ist hinter mir her?
[whisper to Judas_Iscariot]: Die Polizei. Sie haben dich über deine IP-Adresse aufgespürt. Und jetzt mach, dass du wegkommst.
Er wusste nicht, ob er Thunder glauben sollte. Das stand nicht in seinem Plan. Konnte es tatsächlich sein, dass sie ihn aufgespürt hatten? Er konnte sich nicht vorstellen, wie die Polizei auf das Forum kommen könnte, und zufällig kam hier bestimmt niemand vorbei.
Aber was, wenn Thunder recht hatte? Er klappte den Laptop zu und warf ihn in seine Reisetasche zu dem Fotoapparat. Schnell wischte er noch einmal über die Armaturen im Bad und alle Flächen, die er sonst angefasst haben könnte. War er unvorsichtig geworden? Zu unvorsichtig? Er würde es herausfinden.
Die schwere Reisetasche mit all seinen Sachen über der Schulter verließ er das Zimmer und machte sich auf den Weg zum Parkplatz, wo er seinen Van abgestellt hatte. Wenn es wirklich stimmte, was Thunder behauptete, würden sie in dem Café des Einkaufszentrums nach ihm suchen, nicht in dem Hotel. Er hatte also Zeit, er konnte in Ruhe überlegen. Er warf die Reisetasche in den Gepäckraum, nahm die Kamera mit dem starken Teleobjektiv hinaus und schlüpfte hinters Steuer. Langsam rollte er über den Parkplatz des Motels und bog nach rechts ab. An der nächsten Ampel reihte er sich in die Schlange zum Einkaufszentrum, die sich im Schneckentempo bewegte. Als die Ampel für seine Spur auf Gelb schaltete, nahm er den Fuß vom Gas, um sie nicht mehr zu erwischen. Er nahm die Kamera vors Auge und zoomte die Eingangstür heran. Es war nichts Auffälliges zu sehen, keine Polizeiwagen, keine Sirenen. Vielleicht hatte sich Thunder getäuscht? Als die Ampel auf Grün wechselte, gab er vorsichtig Gas und fuhr die Rampe zum Parkplatz hinauf. Es war immer noch nichts zu sehen, trotzdem wollte er ganz sicher gehen und parkte am hinteren Ende der endlosen Reihen neben einem roten Ford.
Wieder hob er die Linse vors Auge und beobachtete den Eingang, als ihm plötzlich eine Frau in einer blauen Daunenjacke auffiel. Sie rannte, nein, sie hetzte die Betonstufen hinunter und weiter quer über den Parkplatz zu einer schwarzen Limousine, die etwas zu teuer aussah, als dass ihre Besitzer hier einkaufen würden. Sie stand am Fenster des Beifahrers und gestikulierte. Scheiße, Thunder hatte doch recht gehabt. Sie waren hinter ihm her, und sie hätten ihn fast erwischt. Und die Frau mit den braunen Locken zeigte direkt auf sein Hotel, in dem er noch vor ein paar Minuten seelenruhig gesessen hatte.
Er schoss ein paar Bilder. Sie blickte sorgenvoll, verärgert, wütend. Sie hatte ein Gesicht wie ein Püppchen. Lass dich nicht ablenken, sonst fällst du noch auf, ermahnte er sich. Ich brauche einen Plan, dachte er, als er den Gang einlegte. Einen noch besseren Plan. Den Blick starr auf den schwarzen Wagen gerichtet, fuhr er Richtung Ausfahrt. Als er die letzte Temposchwelle, die das Rasen auf dem Gelände des Zentrums verhindern sollte, hinter sich gelassen hatte, gab er Gas.
K APITEL 26
Oktober 2011
Chicago, Illinois
Sam hielt den vier Kollegen von der Chicagoer Spurensicherung die Tür zu dem Motelzimmer auf, in dem der Täter gesessen haben musste. Es hatte sich als nicht weiter schwierig herausgestellt, das Zimmer zu identifizieren, denn laut der Aussage des Portiers wohnten in dem Motel zur Zeit nur zwei alleinreisende Männer seit mehr als zwei Tagen, und der andere war ein rüstiger Rentner, der seine Enkeltochter besuchte und ihnen fröhlich Auskunft über seine diversen Freizeitaktivitäten gegeben hatte.
Leider hatten weder der Rentner noch der Portier ein überaus gutes Personengedächtnis, und Sam hatte wenig Hoffnung, dass der Zeichner ein sinnvolles Phantombild aus beiden Aussagen zusammenschustern konnte. Während sich der Portier an einen »durchschnittlich großen Mann mit rötlichen Haaren erinnerte«, bezeichnete der Rentner ihn als »braun gebrannten und trainierten Athleten«. Zeugen, seufzte Sam, den die Erfahrung gelehrt hatte, nicht auf sie zu bauen.
Durch die geöffnete Tür betrachtete er die Spurensicherer, die mit ihren weißen Schutzanzügen und den Plastikgamaschen über den Schuhen ein wenig aussahen wie Astronauten. Sie schienen ein eingespieltes Team
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