Judaswiege: Thriller
konnten.
—
Als sich ihr Wagen dem Einkaufszentrum näherte, versteifte sich Klara auf ihrem Sitz. Sam wies den Fahrer an, die Sirene auszuschalten, und als sie auf den riesigen Parkplatz rollten, fragte er über sein Einsatzmikrofon: »SWAT-Team vor Ort?«
»Ready«, kam postwendend die knisternde Antwort aus Klaras Ohrstöpsel. Ihr Fahrer stellte den Wagen ein Stück abseits des Haupteingangs auf einem regulären Parkplatz ab.
»Ich gehe jetzt rein«, sagte Klara, als sie die Autotür öffnete und auf die Glasfront zulief.
»Viel Glück«, flüsterte Sam in den Sprechfunk, was ihm, wäre er nicht der Einsatzleiter, einen bissigen Kommentar über die Funkdisziplin eingebracht hätte. Klara antwortete mit einem ebenso undisziplinierten »Danke« und wusste, dass sie ihm damit ein Lächeln abringen konnte.
Als sie durch die großen automatischen Schiebetüren des Einkaufszentrums trat, hatten sich ihr Gang und ihre Haltung denen einer shoppingwütigen Hausfrau angepasst. Sie lief routiniert genug, als habe sie alles hier schon hundertmal gesehen, aber sie reckte den Kopf wie eine Schnäppchenjägerin auf der Pirsch. Im Erdgeschoss kaufte sie in einem Schuhgeschäft wahllos ein paar Sneakers in ihrer Größe, nur, um die Tüte eines hiesigen Geschäfts in der Hand zu haben. Frauen ohne Tüten wirkten in Einkaufszentren auffälliger als solche mit, und das galt besonders in einem Internetcafé, das man normalerweise eher am Ende einer Einkaufstour aufsuchte. Sie nahm die Rolltreppe in den ersten Stock und fragte auf halber Höhe, als niemand in Hörweite war: »Hast du ihn noch dran, Wesley?«
»Positiv«, krächzte es aus dem Ohrstöpsel. Na, wenigstens etwas. Gut gemacht, mein Junge. Klara musste, wie es in diesen Shoppingtempeln üblich war, beinahe das gesamte Stockwerk ablaufen, um zur nächsten Rolltreppe zu gelangen. Die konsumerfahrenen Architekten planten die Gebäude absichtlich so ineffizient, um den Ladenbesitzern möglichst viele Passanten versprechen zu können. Mehr Passanten, mehr Geld. Clevere Marketingleute hatten festgestellt, dass Menschen auch Dinge kauften, die sie gar nicht brauchten, und deshalb funktionierte der Trick ganz wunderbar. Aus demselben Grund lagen die teuren Geschäfte immer oben, sinnierte Klara, als sie sich durch den zweiten Stock kämpfte. Erst zu den unerreichbaren Träumen und auf dem Weg nach unten das mitnehmen, was eher zum eigenen Geldbeutel passt. Als sie die Rolltreppe zur dritten Etage betrat, stieg ihre Anspannung, und sie hörte auf, über die Kaufhausarchitektur nachzudenken. Jetzt galt es sich zu konzentrieren.
»Ich bin oben«, flüsterte sie auf den letzten Metern.
Das Café, das seinen Kunden freien Internetzugang anbot, lag am Kopfende des Einkaufszentrums, genau über der riesigen Glaswand des Eingangs. Und die Innenarchitekten hatten ihnen keinen Strich durch die Rechnung gemacht, vermerkte Klara, sie hatte freie Sicht durch das gesamte Lokal bis auf den Parkplatz. Sie ignorierte das »Bitte warten Sie hier, wir suchen einen Platz für Sie«-Schild, das neben einer Kunstpalme stand, und startete ihre Runde. Die Tische waren um einen riesigen Steinbrunnen angeordnet, der wie ein Monolith in der Raummitte stand und furchtbar geschmacklos aussah. Er sollte wohl das Motto des Cafés unterstreichen, das der Besitzer aus unerfindlichen Gründen »Jungle Café« getauft hatte. Ringsherum standen niedrige Caféhausstühle um Bistrotische in gemütlichen Sitzecken. An einigen Tischen standen Computer, aber die meisten Gäste brachten wohl eigene Laptops mit. Langsam schritt Klara die spärlich besetzten Nischen ab und rief sich dabei das Profil ihres Täters ins Gedächtnis: Anfang bis Mitte dreißig, männlich, im realen Leben schüchtern, im Internet ein Held. So oder so ähnlich hatte Sam es formuliert. Und es gab in dem gesamten Café niemanden, auf den diese Beschreibung passte. Sie war schon halb um den Brunnen herumgelaufen, als sie einen einzelnen Mann bemerkte, der an seinem Laptop saß und konzentriert tippte. Aber er war etwas zu alt. Ihr Herz schlug bis zur Brust, als sie an seinem Tisch vorbeilief und versuchte, etwas auf seinem Bildschirm zu erkennen. Leider schaute er auf, als sie gerade vorbeiging, sodass sie nur einen ganz flüchtigen Blick auf seinen Monitor werfen konnte, aber es hätte ein Chatprogramm sein können. Eventuell.
Ohne dem Mann weitere Beachtung zu schenken, komplettierte sie ihre Runde und holte sich an der Bar einen
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