Judaswiege: Thriller
und besonders ordnungsliebender Kinder aufeinandergestapelt hatte. Und das emsige Völkchen war beständig dabei, Bauklötze zu entfernen und neue hinzuzufügen, mit Lastwägen, Gabelstaplern und Kränen. Wäre ihre Situation nicht so ausweglos, hätte Pia es sogar putzig gefunden.
Sie stand jetzt genau an der Stelle, die ihr die Stimme am Telefon beschrieben hatte. Ohne jegliche Erleichterung dabei zu spüren, stellte sie das Paket ab. Noch immer begriff sie nicht ganz, was mit ihr geschah. Klara und Sam hatten den Täter gefasst, oder nicht? Er war tot, hatten sie gesagt. Und trotzdem zwang auch sie jemand, mit einer Bombe in den Armen zu tun, was er von ihr verlangte. Genau wie bei den anderen. Und sie hatte keinen Zweifel, dass er es ernst meinte. Sie hörte es an seiner Stimme: Er bluffte nicht. Wenn er nicht noch besser war als Stein, befand sich in diesem Paket tatsächlich eine scharfe Bombe, und niemand spielte ein schlechtes Blatt besser als der alte Anwalt. Nein, sie hatte ihre Optionen gleich zu Beginn abgewogen und sich entschieden. Nur die Reaktion von Sam war ihr seltsam vorgekommen. Bei ihrem Telefonat, das nur zwanzig Sekunden gedauert hatte, hatte er nicht überrascht gewirkt. Ganz im Gegenteil. War an seiner Vermutung mit dem Komplizen tatsächlich etwas dran? Es sah ganz danach aus. Aber hätte es nicht Klara treffen müssen? Schließlich war sie es gewesen, die den Täter provoziert hatte. Andererseits saß sie nun einmal im Gefängnis. War sie nur der billige Ersatz? Mitten in ihre Gedanken hinein klingelte das Handy, das ihr der Mann mit dem Paket geschickt hatte. Pia versuchte, den Gedanken an Sam und seine seltsame Reaktion, die viel zu schnell in echte Besorgnis umgeschlagen war, zu verdrängen, um sich, wie er gefordert hatte, auf das Telefonat zu konzentrieren. Zitternd drückte sie die Taste auf dem Telefon.
»Wie schön, dass du gekommen bist«, sagte die Stimme ohne jede erkennbare Emotion.
Pia lief eine Träne über die linke Wange, bevor sie antworten konnte. Aber sie musste antworten, sie hatte keine Wahl.
—
Wesley konnte in der Tat etwas mit dem kurzen Telefonat anfangen, das sie aufgezeichnet hatten. Nachdem Klara ihm gegenüber die Vermutung geäußert hatte, dass der Täter Pia gar nicht folgte, hatte Sam ihn angewiesen, das Band auf Merkmale zu untersuchen, die ihnen verraten könnten, wo sich ihr Mann aufhielt.
Zuerst hatte Sam Klaras Vermutung wenig Beachtung geschenkt, denn es passte nicht zu ihrem Täter, die Opfer mit der Bombe aus den Augen zu lassen. Schließlich war es der alte Haudegen Bennet gewesen, der ihn dran erinnern musste, dass sie es nicht mehr mit ihm zu tun hatten. Rascal Hill war tot. Zwar hatten sie es nach Sams Vermutung mit so etwas wie seinem Lehrjungen zu tun, aber das hieß noch lange nicht, dass er ihm, was die Perfektion seiner Taten anging, bereits das Wasser reichen konnte. Je mehr Sam darüber nachdachte, umso unwahrscheinlicher erschien ihm dies sogar, und er hätte sich dafür ohrfeigen können, dass er so blind hatte sein können.
Während Wesley fieberhaft an dem Band arbeitete, erstellte Sam ein Psychogramm des »Schülers«, wie er ihn insgeheim nannte. Und das Ergebnis ließ ihn schaudern. Nicht nur, dass er sehr viel unberechenbarer war als Rascal Hill, nein, er hatte auch etwas zu verlieren: Tammy Walker. Sam war mittlerweile überzeugt, dass sie noch lebte und dass sie sich irgendwo im Großraum New York in seiner Gewalt befand. Eingeschlossen in einem dunklen Kellerloch, genau wie Pia, wenn sie sich nicht beeilten.
Alles passte zusammen: Er war das Risiko eingegangen, sie nicht zu verfolgen, weil er sich um Tammy kümmern musste. Seit sie Pia verloren hatten, waren über vier Stunden vergangen. Es war mittlerweile nach Mitternacht, und Sam wartete in seinem Büro darauf, dass Wesley endlich einen Erfolg vermelden konnte. Ihr neumodisches Lagezentrum hatte die Experimentelle direkt nach Rascal Hills Tod wieder abgebaut, deshalb mussten sie mit ihren regulären Räumlichkeiten vorlieb nehmen.
Sam kramte den vierten Bleistift des Abends aus seiner Schreibtischschublade und malte Weintrauben auf einen Untersuchungsbericht. Er schraffierte gerade einen Lichtreflex in die Zeichnung, als sein Telefon klingelte: Wesley. Er nahm den Hörer schneller ab, als er eine Waffe ziehen konnte, und bellte eine knappe Begrüßung ins Telefon.
»Chef, ich glaube, ich habe etwas gefunden«, kam Wesley gleich zur Sache.
»Ich komme
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