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Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders

Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders

Titel: Jürgen Bartsch - Selbstbildnis eines Kindermörders Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Moor
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meisten dazu, Dich schuldig zu fühlen? (Gesellschaftlich, familiär usw.)
     
    Nein, familiär, das Wort habe ich nie gern gehört. Ich fühlte und fühle mich gesellschaftlich schuldig, was für Schuld es auch jeweils ist.
     
    79.   In welchen Arten von Situationen spürst Du am intensivsten Schuld?
     
    Am meisten Schuld fühle ich, wenn ich an die Verbrechen denke. Das war aber auch jeweils bei bzw. vor der Tat sogar schon so. Diese Gefühle habe ich dabei durchaus gehabt. Man mag das als einen Widerspruch ansehen, aber sogar da habe ich diese Gefühle ganz intensiv gespürt, ohne aber deswegen die Tat hätte abbrechen können, weil das Trieb-Gefühl noch stärker war. Dieses Schuld- und «Du mußt es lassen»-Gefühl kam jeweils dann in so einer Art Welle, sekundenlang nur, aber wie ein Schauer, ein schmerzliches Ziehen in Magen und Herzgegend, jeweils besonders, wenn ein Kind mich arglos freundlich anschaute oder wenn es mich gar an der Hand nahm, dann war es mir regelrecht schlecht. Wenn es wenigstens noch stärker gewesen wäre, diese Gefühle zum Guten, wahrscheinlich wäre ich dann innerlich derart hin- und hergerissen worden, zwischen Drang zum Schlechten und aber auch zum Seinlassen, daß ich körperlich zusammengebrochen wäre.
     
    80.   Hast Du mal Schuldgefühle gehabt, auch wenn Du nichts getan hattest? Kannst Du unterscheiden zwischen dieser Art Schuldgefühl und dem, wo Du wirklich nichts getan hast?
     
    Nein, nur eben Unsicherheit, Hemmungen usw., aber das sind ja keine Schuldgefühle. Doch, da fällt mir eines ein:
    Als meine Eltern mich mal vom Internat nach Hause in Ferien abholten, stand ein kleiner Junge aus der 4ten Klasse, etwa zehn Jahre alt, auf dem Hof alleine, bei seinem Koffer, und weinte. Er hatte kein Fahrgeld und wohnte in Wiesbaden. Wir nahmen ihn mit und fuhren ihn bis vor die Haustür, mein Vater schellte, ich stand auch dabei. Die Tür ging auf, die «Mutter» fing sofort an zu keifen, was der Junge denn bei ihr solle, er sollte doch im Heim bleiben, sie wolle ihn nicht sehen, und da stand der Kleine mit seinem Koffer und seinem entsetzten Blick und mußte alles anhören. Sie schnappte sich den Jungen, schlug und trat ihn praktisch mitsamt dem Koffer ins Haus hinein. Schon damals wußte ich genau, was eigentlich zu tun gewesen wäre. Wir hätten den Jungen einfach mit nach uns nehmen sollen, er tat mir so leid, und ich wagte es aber aus Feigheit nicht, meine Eltern zu bitten. Meine Eltern hatten nie gezeigt, daß sie anderen Kindern aufgeschlossen wären. Aber ich fühlte mich schuldig, denn ich wußte, daß es der Junge bei uns trotzdem noch viel besser gehabt hätte. Ich habe das nie vergessen können, allerdings auch meine Eltern nie ganz verstanden, daß sie derart «gelassen» blieben, um es vorsichtig auszudrücken.
     
    81.   Hast Du mal gleichzeitig Schuldgefühle und Angst vorm Entdecktwerden gespürt? Hast Du Angst vorm Entdecktwerden gespürt, ohne Schuldgefühle zu haben? Was sind die Unterschiede und die Ähnlichkeiten zwischen den beiden?
     
    Ja, als Kind oder als Junge, bei «normalen» kleinen oder größeren Vergehen jedesmal. Ob Äpfelklauen oder, wie gesagt, Schule schwänzen oder auch die Sache mit meiner Oma. Bei den Verbrechennie, wenn man davon absieht, daß ich immer darauf geachtet habe, daß ich nicht erwischt würde, es mußte doch weitergehen können. Aber Angst war das nicht.
    Eines zeigt mir besonders, wie dumm die Menschen manchmal denken. Bei meiner Verhaftung, vielmehr davor, wo man sich mit mir ganz «väterlich» über Gott und die Welt unterhielt, gab man mir Zigaretten und schaute auf meine Hand, ob ich vor Angst zitterte. Trotz der tragischen Situation, mußte ich grinsen, ich war gar nicht in Spannung. Im Grunde war alle Spannung schon von mir abgefallen, so ungern war es mir natürlich gar nicht, daß sie mich endlich hatten, wenn ich auch von selbst mich nie hätte stellen können, was doch nur gegangen wäre, wenn ich quasi mich selbst hätte vorher von meinem Trieb hätte heilen können.
    Angst vor Entdeckung ohne Schuldgefühle, nur bei ganz läppischen Dingen, wie das erwähnte Äpfelklauen oder so. Bei schwerwiegenden Taten halte ich das für einen schweren Mangel an Gewissen! Ähnlichkeit ist zwischen leichtem und schwerem nicht vorhanden!
     
    82.   Was ist der Unterschied zwischen Schuld und Scham? Kann man sich schämen, ohne sich schuldig zu fühlen? Kann man sich schuldig fühlen, ohne sich zu schämen?
     
    Natürlich

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