Julia Ärzte zum Verlieben Band 36
wusste, dass er keine Antwort bekommen würde. Die Worte laut auszusprechen, schien ihm jedoch zu helfen.
„Vielleicht sollte ich aufhören, vor Beziehungen wegzulaufen“, fuhr er leise fort. „Vielleicht muss ich einfach akzeptieren, dass ich es bei dir falsch gemacht habe. Vielleicht sollte ich aus meinen Fehlern lernen, anstatt möglichst jeden Kontakt mit anderen Menschen zu vermeiden, um diese Fehler nicht zu wiederholen. Vielleicht redet Lisa ja gerade mit ihrer Mutter, so wie ich jetzt mit dir rede. Und wahrscheinlich wäre es wichtig für sie zu wissen, was ich für sie empfinde.“
Joel hatte Lisas Handynummer nicht. Er konnte sie also nicht anrufen. Außerdem hatte er versprochen, ihr Zeit zu lassen.
Aber eines konnte er tun.
Er verabschiedete sich von Vanessa und fuhr danach in die Stadt. Es dauerte eine Weile, bis er fand, was er suchte. Eine Karte mit einem Sonnenaufgang, die innen unbedruckt war. Lisa war auf jeden Fall der Sonnenaufgangstyp. Und sie liebte das Meer. Joel hoffte, dass sie die Botschaft der Karte verstand: ein Neuanfang.
Schließlich fuhr er zu ihrem Häuschen, saß dort in seinem Wagen und schrieb sich alles von der Seele. Dann adressierte er den Umschlag an Lisa und steckte ihn durch ihren Briefschlitz.
Jetzt blieb ihm nichts anderes übrig, als zu warten, bis sie den Brief gelesen hatte. Falls sie ihn überhaupt las. Das konnte er nur hoffen.
London hat mir gutgetan, dachte Lisa auf der Rückfahrt nach Northumbria. Ein paar Tage, in denen sie sich von ihrer Mutter hatte nach Strich und Faden verwöhnen lassen. Gemeinsam waren sie in den prachtvollen Gärten südenglischer Landsitze spazieren gegangen und hatten viel miteinander geredet.
Vor allem das letzte Gespräch war schön gewesen.
„Mum, hast du es je bereut, allein geblieben zu sein?“, hatte Lisa gefragt.
Lächelnd hatte Ella den Kopf geschüttelt. „Ich habe niemanden getroffen, der deinen Vater hätte ersetzen können.“
„Ehrlich? Oder hast du nur versucht, mich zu schützen?“
„Wie meinst du das?“, fragte Ella.
„Ich war sechzehn, in der Pubertät“, sagte Lisa. „Ich fing gerade an, meine ersten Dates zu haben. Und wenn du dich mit mehreren Männern getroffen hättest, wärst du nicht gerade ein gutes Beispiel gewesen, oder?“
Ella strich ihr übers Haar. „Das spielte vermutlich eine gewisse Rolle, ja. Aber deshalb brauchst du wirklich kein schlechtes Gewissen zu haben. Wenn mir tatsächlich ein Mann begegnet wäre, mit dem ich es hätte versuchen wollen, hätte ich sicher Möglichkeiten gefunden, mich mit ihm zu treffen. Und wenn ich gewusst hätte, dass wir zusammenbleiben wollten, hätte ich ihn dir vorgestellt.“
Sie seufzte. „So jemanden habe ich nie gefunden. Was ich mit deinem Vater hatte, das erlebt man nur einmal im Leben. Ich war einfach nicht bereit, mich mit dem Zweitbesten zufriedenzugeben. Wir hatten nicht genug Zeit zusammen, und ich werde es immer bedauern, dass er nicht da war, um dich zu der schönen, klugen Frau heranwachsen zu sehen, die du heute bist.“ Ihre Stimme klang belegt. „Er wäre genauso stolz auf dich gewesen wie ich.“
„Vielleicht wirst du jetzt nicht mehr so stolz auf mich sein, Mum. Ich muss dir nämlich was sagen.“ Lisa schluckte ein wenig. „Ich bin schwanger. Und es hätte eigentlich nicht passieren sollen.“
„Will der Vater nichts davon wissen?“ Ihre Mutter umarmte sie. „Ach, Schatz. Du bist nicht allein. Ich bin auch noch da, und ich werde mein Enkelkind genauso lieben wie dich. Komm zurück nach London. Ich habe genug Platz für euch beide. Und auch wenn du lieber eine eigene Wohnung haben möchtest, will ich auf jeden Fall die Haupt-Babysitterin sein.“
Lisa lächelte traurig. „Das ist es nicht. Joel sagt, dass er mich heiraten will, weil er die Verantwortung für mich hat.“
Ella zuckte leicht zusammen. „Oh nein. Das ist ganz sicher nicht der richtige Grund zum Heiraten. Wenn ihr euch nicht liebt und nicht den Rest eures Lebens zusammen verbringen wollt, werdet ihr euch irgendwann hassen, und das ist nicht gut fürs Baby. Und für euch auch nicht.“
Nach einer Pause fragte sie: „Liebst du ihn?“
Lisa schwieg eine Weile. Dann seufzte sie. „Ja. Es war nicht geplant. Ich wollte mich nie in jemanden verlieben. Ich will nicht so sein wie du und jemanden so sehr lieben, dass die Welt ohne ihn nur noch halb so schön ist.“
„Vor langer Zeit habe ich mal ein Gedicht gelesen“, meinte ihre Mutter leise.
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