Julia Ärzte zum Verlieben Band 36
in ihr hoch, als ihr klar wurde, wie verletzbar sie nun war. Die Liebe hatte große Löcher in ihren Schutzschild gerissen. Sie angreifbar gemacht für die gleichen Qualen, die sie als Kind erlitten hatte.
„Soll ich ihm noch eine Blutkonserve geben?“, fragte einer der jüngeren Ärzte, der beinahe genauso blass war wie ihr kleiner Patient.
„Nein, wir müssen die Blutung stoppen.“ Die kühle, analytische Herangehensweise des Facharztes stand im direkten Gegensatz zur Aufregung des weniger erfahrenen Kollegen. „Erhöht die Temperatur hier drin.“
Während Ella seine Anweisungen schweigend ausführte, erinnerte sie sich an den Tag, als Nikos Mariakos bei ihnen angefangen hatte. Schon vor seiner Ankunft hatte sein Ruf einen enormen Aufruhr verursacht.
Als er dann schließlich kam, waren die Frauen in der Abteilung nicht mehr nur von seinen medizinischen Fähigkeiten begeistert, sondern auch von seinem Aussehen. Sogar Ella mit ihrem natürlichen Argwohn war wie geblendet gewesen. Nicht nur von seinen ebenmäßigen Gesichtszügen, sondern auch von seinem entschlossenen Herangehen an jeden Fall, der durch die Türen der Notaufnahme hereinkam.
Vorschriften interessierten ihn nicht. Nikos Mariakos strebte gnadenlos nach Höchstleistungen und kreuzte daher regelmäßig die Klingen mit der Krankenhausverwaltung, die seine Gleichgültigkeit gegenüber Regeln und Richtlinien fürchten gelernt hatte.
Dem Kinderarzt war das egal. Wenn es um seine Arbeit ging, interessierte ihn nur eins: seine kleinen Patienten. Es war, als hätte er es sich zur Aufgabe gemacht, höchstpersönlich jedes einzelne verletzte Kind zu retten.
Selbstverständlich schloss das den kleinen Jungen auf dem Rollbett ein.
„Herzstillstand. Gib mir die Thorakotomie-Instrumente. Ich öffne den Brustkorb.“
Fassungslose Stille folgte seinen Worten, und Phil, der Anästhesist, schüttelte ungläubig den Kopf. „Das meinst du nicht ernst, Nikos. Weißt du, wie hoch die Sterblichkeitsrate ist, wenn dieser Eingriff außerhalb eines OPs durchgeführt wird?“
Nikos begann, das Kind wiederzubeleben. „Ich bin sicher, du erinnerst mich gleich daran.“
Der Anästhesist tat genau das, aber Nikos ließ sich nicht stören.
„Die Instrumente, Ella“, wies er die Krankenschwester an. „Hat jemand den Herz-Thorax-Chirurgen angerufen?“
„Was zum Teufel ist los mit dir, Nikos?“ Sein Kollege schwitzte unter der Wärme der Lampen. „Hältst du dich eigentlich nie an Regeln?“
„Nicht, wenn das bedeutet, ein Kind aufzugeben“, erwiderte Nikos kühl. „Die tiefe Brustverletzung des Jungen scheint auf den Thorax beschränkt zu sein. Wenn ich die Blutung in den nächsten Minuten stoppen kann, hat er eine Chance. Ella, die Thorakotomie-Instrumente.“
„Denk an deinen Ruf.“ Der Anästhesist wurde noch etwas blasser, als Nikos den Brustkorb des Kindes vorbereitete. „Du könntest entlassen werden.“
„Wenn ich entlassen werde, weil ich das Beste für meinen Patienten tue, dann gehe ich gern. Ich dachte immer, wenn man einen Abgang macht, dann während man nach Perfektion strebt“, sagte Nikos ruhig. Nichts in seinem Verhalten deutete darauf hin, dass er eine große Operation durchführen wollte. „Wie beim Sex einen Herzinfarkt zu bekommen.“
„Deine Freundin muss eine glückliche Frau sein“, witzelte eine der Krankenschwestern, und Ella fühlte, wie sie rot wurde.
Sie hielten ihre Beziehung geheim, aber plötzlich wollte sie allen erzählen, dass dieser unglaublich talentierte Mann die Nächte mit ihr verbrachte. Dass er sie gewählt hatte. Sein Blick traf ihren, und ihr Herz schien einen Schlag auszusetzen, weil sie wusste, dass er ihre Gedanken erraten hatte.
Für einen kurzen Augenblick funkelte der Schalk in Nikos’ dunklen Augen, bevor er seine Hand nach den chirurgischen Instrumenten ausstreckte. „Skalpell“, sagte er leise. Ella holte tief Luft und reichte ihm das Messer. Der Augenblick hatte beinahe symbolischen Charakter. Dieser Mann hatte die Fähigkeit zu heilen, aber er konnte auch verletzen.
Würde er sie verletzen?
Sie wusste nur mit Sicherheit, dass er der einzige Arzt war, dem sie blind vertrauen würde, sollte sie einmal ins Krankenhaus eingeliefert werden.
Leider teilte der Anästhesist ihre Zuversicht nicht. „Wenn du noch Witze reißen kannst, weißt du nicht, wie ernst das ist, was du vorhast, Mariakos“, sagte er barsch.
„Damit dieser Eingriff überhaupt Aussicht auf Erfolg hat, muss er
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