Julia Ärzte zum Verlieben Band 37
sofern ihr Allgemeinzustand es erlaubt. Auch wenn bei Frauen in ihrem Alter hormonell bedingte Rezidive selten sind, haben diejenigen Patientinnen, die trotzdem bestrahlt wurden, neuesten Studien zufolge eine höhere Lebenserwartung als die Vergleichsgruppe.“
„Und was glaubst du, wofür wir uns hier in meiner Klinik entschieden haben?“
„Woher soll ich das wissen? Ich habe schon oft festgestellt, dass vor allem in hochrangigen Kliniken ein gewisses Misstrauen neuen Erkenntnissen gegenüber besteht. Vor allem, wenn jemand anderes sie gewonnen hat.“
Sprachlos vor Empörung über ihre angedeutete Kritik sah Ghaleb sie an. „Du kannst mir glauben, dass im Jobail Advanced Medical Center alle wissenschaftlich belegten Neuerungen unverzüglich umgesetzt werden. Wir verwenden einen großen Teil unserer finanziellen und personellen Ressourcen für Forschungsprojekte. Bestrahlung nach einer Tumorentfernung ist daher auch bei älteren Frauen Standard hier.“
Sie nickte nur kurz und setzte ihre Untersuchung fort.
War das alles gewesen? Keine weiteren Kommentare? Keine Sticheleien?
Nein. Keine. Was war geschehen? Wie hatte diese junge, lebhafte, vor Energie überschäumende Frau sich so verändern können? Woher nahm sie ihre neue Gelassenheit und Selbstsicherheit?
Ghaleb rief sich zur Ordnung. Er sollte sich jetzt besser um seine Arbeit kümmern, anstatt über Viv nachzudenken.
Mit einer Kopfbewegung bedeutete er dem OP-Pfleger, ihm das Skalpell zu reichen. Er starrte es einige Sekunden lang an, bevor er es mit undurchdringlichem Blick an Viv weiterreichte.
„Natürlich lasse ich unserer neuen stellvertretenden Klinikleiterin den Vortritt.“
Wortlos nahm sie das Skalpell entgegen. Bevor er noch etwas sagen konnte, hatte sie bereits mit geübtem Griff einen präzisen Schnitt um die Aorta herum gemacht. Genau das hatte er ihr vorschlagen wollen.
Er beugte sich über die Patientin und assistierte Viv, die mit geschickten Bewegungen erst den Tumor entfernte und dann die umliegenden Gewebeschichten abtrug, ohne dabei die äußere Form der Brust zu beschädigen.
Nachdem sie den Tumor in eine Petrischale gelegt hatte, eilte eine der OP-Schwestern damit ins Labor.
„In wenigen Minuten werden wir das Ergebnis haben“, sagte Ghaleb. „Du kannst ja schon mal weitermachen.“
Sofort setzte sie zum nächsten Schnitt an, diesmal in der Achselhöhle der Patientin.
„Entfernst du prophylaktisch die axillären Lymphknoten?“, fragte Ghaleb scharf.
„Nein, ich mache nur vorsorglich eine Biopsie.“ Sie bedachte ihn mit einem überheblichen Blick. „Oder schlägst du etwas anderes vor?“
Natürlich nicht. Er bedeutete ihr, fortzufahren.
Als sie den ersten Knoten präparierte, hielt Ghaleb die Luft an. Auch sehr erfahrene Chirurgen hatten ihre Probleme mit diesem Eingriff. Doch mit jeder ihrer fließenden, kompetenten Bewegungen entspannte er sich weiter. Er hätte es selbst nicht besser machen können.
Vivs Anspannung ließ erst nach, als die OP-Schwester das Ergebnis des Schnellschnitts verkündete. Zufrieden schloss sie die Operationsstelle mit der feinsten und unauffälligsten Naht, die Ghaleb je gesehen hatte.
Endlich waren sie fertig und konnten die Patientin dem OP-Team überlassen. Viv erhob sich von dem Stuhl, um den sie während der Operation gebeten hatte, und streckte sich. Wie gebannt verfolgte Ghaleb jede ihrer Bewegungen.
Als ihm bewusst wurde, dass sie seine Blicke bemerkte, setzte er eine betont abweisende Miene auf.
Unbeeindruckt sagte sie: „Der Nächste.“
Während der folgenden zehn Stunden arbeiteten sie sich durch das OP-Programm. Nicht einmal eine kurze Mittagspause gönnten sie sich. Nachdem auch die letzte Operation überaus erfolgreich beendet war, hatte Ghaleb keinerlei Zweifel mehr an Vivs Kompetenz.
Seine Vorbehalte waren schon beim ersten Eingriff ins Wanken geraten, und da sie jede Aufgabe mit Bravour gelöst hatte, musste er sich eingestehen, dass er sich geirrt hatte.
Sie hatte bei der Beschreibung ihrer Fähigkeiten eher untertrieben. Ihre diagnostischen Fähigkeiten waren geradezu unheimlich, ihr chirurgisches Geschick beispiellos.
Mit Erschütterung registrierte Ghaleb, wie sehr diese Erkenntnis ihn enttäuschte.
Denn nun schien es doch recht wahrscheinlich, dass sie allein wegen des Jobs nach Omraania gekommen war.
Und diese Möglichkeit gefiel Ghaleb ganz und gar nicht.
Viv eilte in den – glücklicherweise leeren – Umkleideraum und stützte sich auf das
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