Julia Ärzte zum Verlieben Band 45
beeilte sich jedes Mal wegzuschauen. Er sollte sich bloß nicht einbilden, dass sie ihn anstarrte. Sie war wütend auf ihn, weil er ein Gefühl in ihr geweckt hatte, das ihr keine Ruhe mehr ließ. Warum tat er das? Wie konnte er so tun, als würde sie ihm etwas bedeuten, nur um sie gleich wieder zurückzuweisen?
Sie schloss die Augen und befahl sich, an etwas anderes zu denken. Ihr Auftrag war es, die desolaten Zustände in diesem Land zu dokumentieren, und nicht, sich in einer albernen Romanze mit dem Dschungelarzt zu verlieren, der zwar unglaublich gut küsste, aber offenbar nichts mehr von ihr wissen wollte.
Die schaukelnden Bewegungen des Fahrzeugs hatten eine beruhigende Wirkung auf sie. Endlich hatte sie Zeit, um ihre Gedanken zu sortieren. Sie suchte nach passenden Worten, die sie später in ihrem Film verwenden konnte, um dieses Land zu beschreiben. Ihren Kommentar würde sie erst später einsprechen, nachdem der Film geschnitten worden war, zurück im Studio in Australien … weit weg von Dart.
Der Truck verlangsamte sein Tempo. Hatten sie ihr Ziel etwa schon erreicht? Sie spürte, wie sich jemand an ihr vorbei zum Heck des Fahrzeugs drängte. Als sie die Augen aufschlug, wurde ihr klar, dass etwas nicht stimmte. J’tagnan lag im Schoß seiner Mutter, und Darts Platz war leer. Sie hatten angehalten, allerdings nicht im Dorf, sondern an einem Kontrollposten. Emmy wurde unbehaglich zumute, als sie bemerkte, dass mehrere bewaffnete Männer in Tarnanzügen die Trucks umstellt hatten, obwohl diese mit dem roten Kreuz gut sichtbar als medizinische Einsatzfahrzeuge markiert waren.
Eiskalte Furcht packte sie, als ihr Blick auf die schweren Waffen fiel, die die Männer wie beiläufig an der Seite trugen. War das normal? Bilder aus einer lange zurückliegenden Vergangenheit schossen ihr durch den Kopf und ließen ihren Atem schneller gehen.
Mittlerweile war Dart ausgestiegen und reichte den Soldaten einige Papiere. Er wirkte ruhig und gefasst, während Emmys Herz wie wild gegen ihre Brust hämmerte. Diese Männer waren bewaffnet! Nicht auszudenken, was ihm passieren konnte! Ein Gefühl von Übelkeit überkam sie, während sie gegen die Erinnerungsfetzen kämpfte, die auf sie einströmten. Wenn Dart doch bloß wieder einsteigen würde. Wenn die Soldaten sie bloß in Ruhe ließen.
Stattdessen deutete einer der Männer auf ihre Kamera. Blanke Angst schnürte Emmy die Kehle zu. Gab es ein Problem? Wieder stürmten Bilder von jener schicksalhaften Nacht auf sie ein. Sie kniff die Augen fest zusammen, aber es half nichts.
Emmy war fünf Jahre alt und gerade eingeschult worden. Sie saß nicht in einem Truck, sondern in einer Limousine, am Steuer Patrick, der Chauffeur der Familie Jofille. Sie hatten an einer Baustellenabsperrung anhalten müssen – nur, dass es keine Baustelle gab. Emmy spielte im Fond mit ihrer Puppe und bemerkte kaum, als Patrick ausstieg. Dann riss plötzlich ein anderer Mann die Tür auf. Er trug eine schwarze Maske über dem Gesicht und hielt einen langen, metallisch glänzenden Gegenstand in der Hand. Emmy erkannte die Form: Ihr Bruder Tristan hatte ein Spielzeug, das ganz ähnlich aussah. Eine Pistole. Doch diese hier wirkte viel größer. Echter. Gefährlicher.
Der kleinen Emmy entfuhr ein markerschütternder Schrei, woraufhin der Fremde ihr befahl, still zu sein und ihr das kalte, harte Metall an die Wange presste. Emmy gehorchte sofort. Nun kletterte ein anderer Mann auf den Fahrersitz, aber es war nicht Patrick. Dann war da ein stechendes Gefühl an ihrem Hals und dann … Schwärze.
Einen Tag und eine Nacht lang hatte sie sich in der Gewalt der Entführer befunden. Emmy hatte die Erinnerung an diese schrecklichen Stunden tief in ihrem Innern vergraben. Zwar hatte sie damit gerechnet, dass die Bilder eines Tages wieder aufsteigen würden, doch die Heftigkeit ihrer Reaktion ließ sie zittern.
„Emmy?“ Neil stieß sie sanft an und holte sie abrupt zurück in die Gegenwart.
„Was? Was ist?“ Sie blickte gehetzt um sich und rang nach Luft. Schweißperlen standen auf ihrer Stirn.
„Äh … Dart sagt, sie wollen unsere Drehgenehmigung sehen“, erklärte Neil vorsichtig.
Emmy fuhr herum. Sie sah Dart neben dem Truck stehen, von wo aus er sie besorgt musterte.
„Alles in Ordnung, Emmy?“
„Oh …“ Hastig bückte sie sich zu ihrem Rucksack und wühlte darin nach den Papieren. Das verschaffte ihr einen Moment, um sich zu beruhigen und ihre Gefühle unter Kontrolle zu bringen.
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