Julia Ärzte zum Verlieben Band 49
an sich gedrückt hatte, nahm Marianne sie unter ihre Fittiche. Mark folgte Mikki auf die Intensivstation.
Mikki ging zurück in ihr Büro, um die neue Medikation für einen ihrer Patienten zu notieren. Wenig später kam Lewis herein.
Sie legte den Kugelschreiber beiseite und schwang den Stuhl herum. „Alle reden von dem Wunder, das du bei Jennifer Upton vollbracht hast.“
„Ohne das Bett, das du bereitgestellt hast, wäre kein Wunder möglich gewesen. Es geht ihr ganz gut. Allerdings ist sie noch nicht übern Berg.“
„Mir tun ihr Mann und die Kinder leid.“
„Ja, sie machen eine schwierige Zeit durch.“
Konzentriert schrieb er etwas in eine der Krankenakten, und Mikki konnte ihn ungestört betrachten: seinen festen Mund mit der sinnlichen Unterlippe, die gerade Nase und die Narbe über der Braue. Der dunkle Bartschatten verlieh ihm etwas Verwegenes … Sie sehnte sich danach, ihn zu berühren.
Plötzlich schaute er auf. „Stimmt etwas nicht?“
Mikki spürte, dass sie rot wurde. „Nein, alles in Ordnung. Ich dachte bloß, dass du ganz schön müde aussiehst.“
„Ja, es war ein langer Tag. Ich war zehn statt acht Stunden im OP, weil bei fast jedem Patienten das OP-Personal wechselte. Außerdem war der Anästhesist so langsam, als hätte er sich selbst narkotisiert.“
„Du musst dich an die Arbeit in staatlichen Krankenhäusern wohl erst gewöhnen.“
„Tja, es war meine eigene Entscheidung, nach Australien zurückzukommen und in staatlichen Einrichtungen zu arbeiten“, meinte er selbstironisch.
„Und warum?“, fragte Mikki. „Doch nicht nur wegen deiner Karriere, oder? In England lief schließlich alles bestens.“
Schweigend sah Lewis ihr in die Augen. „Ja, London hat mir gefallen“, antwortete er dann. „Abgesehen vom Regen. Aber ich dachte, dass ich hier vielleicht etwas bewegen kann. Ich hatte das Gefühl, dass ich es meinem Land schuldig bin. Ist dir das patriotisch genug?“
„Ich habe dich nie für einen ausgeprägten Patrioten gehalten.“
„Du glaubst also nicht, dass ich Leib und Leben für mein Land opfern würde?“
„Diese Situation bleibt dir hoffentlich erspart.“
„In Afghanistan war ich nahe dran.“
Mikki blieb fast das Herz stehen. „Du warst in Afghanistan?“
„Ich habe in einem Feldlazarett gearbeitet, und es gab einige brenzlige Momente.“
„Warst du jemals in Lebensgefahr?“ Ihr wurde flau im Magen.
„Mir sind ein paarmal Kugeln und Granaten um die Ohren geflogen. Das war allerdings nichts im Vergleich zu dem, was unsere Jungs und Mädels von der Armee dort durchmachen – vor allem, wenn sie jemanden wie mich davor bewahren müssen, in gefährliche Situationen zu tappen.“
„Wie kannst du so locker darüber reden?“ Mikki wurde schon bei der Vorstellung schlecht, dass er im Kriegsgebiet gewesen war. „Du hättest getötet werden können.“
Er schloss die Akte und legte sie auf den Schreibtisch. Danach musterte er Mikki spöttisch. „Und warum genau hätte es dir etwas ausgemacht?“
Mikki öffnete den Mund und schloss ihn sogleich wieder, weil sie ihrer Stimme nicht traute. Vor ihrem inneren Auge sah sie ihn in einem Sarg liegen, der mit einer Flagge bedeckt war. Das Bild ließ sich nicht vertreiben. Und plötzlich wurde ihr eins bewusst: Sie konnte den Gedanken kaum ertragen, dass Lewis nicht mehr da sein könnte. Sie wollte nicht in einer Welt leben, in der er fehlte.
„Soll ich dir verraten, warum ich mich freiwillig gemeldet habe?“, fragte Lewis, als sie weiterhin schwieg.
Sie nickte stumm.
„Ich sagte mir, dass ich eine neue Herausforderung brauche. Doch dann habe ich gesehen, was dort unten geschah. Da begriff ich, dass ich vor mir selbst davonlief. Man kann aber nicht alles hinter sich lassen. Man schleppt seine Vergangenheit, sein ganzes Leben immer mit sich herum.“
Mikki musste schlucken. „Was ist denn passiert?“
„An der Straße wurde ein Sprengsatz gezündet, und ich entkam dem Anschlag nur knapp.“ Lewis atmete tief durch. „Dabei musste ich zusehen, wie zwei Männer starben. Später habe ich mich gefragt, wer mich vermissen würde, wenn es mich erwischt hätte.“
Wieder zog sich ihr das Herz zusammen. „Bestimmt eine ganze Menge Menschen – deine Kollegen und Kolleginnen zum Beispiel.“
„Sieben Jahre, Mikki“, meinte er nachdenklich. „Hast du mich vermisst?“
Schritte näherten sich, und Kylie Ingram kam herein. „Tut mir leid, dass ich störe“, entschuldigte sie sich lächelnd.
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