Julia Ärzte zum Verlieben Band 54
zukam.
Es war der Beginn einer Lawine. Julie sah, dass der Mann keine Chance hatte, sich selbst aus der Gefahr zu befreien. Die junge Ärztin wusste, dass sie maximal dreißig Sekunden hatte – falls überhaupt so viel – um etwas zu tun.
„Julie! Nein!“, rief Pierre hinter ihr. Er hatte wohl geahnt, was sie vorhatte. Sie warf ihm ein Lächeln zu, ehe sie ihre Ski bergab richtete.
Es gab eine kleine Chance, dass sie den Mann rechtzeitig erreichen würde, um ihn aus der Gefahrenzone zu führen. Falls nicht – darüber wollte sie lieber nicht nachdenken.
Sie wollte ihr eigenes Leben nicht in Gefahr bringen, andererseits konnte sie nicht einfach zusehen, wie vor ihren Augen ein Mensch umkam, dem sie vielleicht hätte helfen können.
Während sie den Abhang hinunterfuhr, sah sie die Schneemassen auf sich zukommen. Wenn sich der Mann doch nur in Bewegung setzen würde, dann hatten sie vielleicht eine Chance. Aber er schien wie festgewurzelt.
Julie hatte keine Wahl mehr. Sie hielt direkt neben ihm an und drückte den Mann zu Boden, bevor sie sich über ihn warf. Im letzten Augenblick, bevor sie von der Lawine ergriffen wurden, brachte sie beide Hände vor ihr Gesicht, um eine Luftkammer zu formen.
Dann wurde alles schwarz.
Pierre sah mit Entsetzen, wie die Schneewalze Julie und den anderen Skifahrer erfasste und die beiden in den weißen Massen verschwanden.
In die nachfolgende Stille hinein drang der Klang der Alarmsirenen. Hilfe würde kommen, aber wann?
Pierre wusste aus Erfahrung, dass Lawinenopfer entweder durch die direkte Einwirkung der Schneemassen erdrückt wurden oder, wenn sie dies überlebten, im festgepackten Schnee erstickten. Er wusste auch, dass die Überlebenschancen am besten waren, wenn die Opfer innerhalb der ersten fünfzehn Minuten geborgen wurden.
„Julie, meine Julie! Qu’est que tu as fait? Was hast du nur getan? Und ich konnte dir noch nicht einmal sagen, dass ich dich liebe!“, rief er, aber der Wind wehte seine Worte fort.
Er musste sie finden, sie retten. Nach all den lieblosen Jahren konnte er nicht zulassen, dass diese Frau ihm entrissen wurde!
Die Skifahrerin in der roten Jacke hatte einen gebrochenen Knöchel und war völlig aufgelöst, aber Pierre ließ sie zurück. Und wenn er Julie mit seinen bloßen Händen aus dem Schnee ziehen musste!
Der Chirurg hatte nur eine ungefähre Ahnung, wo die beiden vergraben waren. Aber irgendwo musste er anfangen. Er verbannte den Gedanken, dass Julie nicht mehr am Leben sein könnte, aus seinem Kopf. Laut ihren Namen rufend, begann er, wie besessen im Schnee zu graben.
Julie konnte nichts hören oder sehen. Sie versuchte, ihre Situation zu analysieren. Der Schnee hielt sie fest gefangen, aber sie hatte keine Schmerzen. Und vor ihrem Gesicht war ein kleiner Freiraum. Gut.
Unter sich spürte sie den Körper des anderen Skifahrers. Auch er schien zu atmen. „Hey, Sie!“, rief sie, nachdem sie den Schnee in ihrem Mund ausgespuckt hatte. Keine Antwort. Wahrscheinlich war er noch bewusstlos.
Sie bekämpfte die Panik, die in ihr aufstieg. Ein Schritt nach dem anderen, sagte sie sich. Ich habe Luft, ich bin nicht schwer verletzt – und Pierre weiß, wo ich bin. Er würde sie finden, und sie würde überleben. An diesen Gedanken musste sie sich klammern.
Pierre versuchte, den festen Schnee mit den Händen zur Seite zu räumen, aber es war sinnlos. Er brauchte eine Sonde, um die beiden im Schnee zu finden, und dann eine Schaufel – er hatte weder das eine noch das andere. Er konnte aber nicht einfach tatenlos herumsitzen.
In der Ferne sah er ein Suchteam näher kommen. „Los, hierher!“, schrie er. Er schaute auf die Uhr. Es waren zehn Minuten vergangen.
Was war er für ein Idiot gewesen? Warum hatte er ihr nicht seine Liebe gestanden, solange er die Chance dazu hatte? War es nun zu spät?
Er hatte angenommen, dass seine Gefühle und Motive völlig offensichtlich waren – aber er hatte nicht an Julies verletzliches Selbstwertgefühl gedacht. Sie hatte keine Ahnung, wie sie auf andere Menschen wirkte: wunderschön, mutig, ehrlich, loyal.
Was er für sie empfand, war eine lebendige Liebe, die jede Erinnerung an Iona in den Schatten stellte. Er musste sie finden!
Das Suchteam war jetzt bei ihm angekommen. Die Retter aktivierten ihre Suchgeräte – er konnte nur hoffen, dass Julie ein entsprechendes Signalgerät auf sich trug.
„Wie viele? Und wo?“, fragte der Teamleiter. Pierre deutete auf den Punkt, an dem er Julie
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