Julia Aerzte zum Verlieben Band 60
etwas?
Finn hatte plötzlich einen bitteren Geschmack auf der Zunge, und sein Herz hämmerte gegen die Rippen. Er stieß sich von der Wand ab, um dem Paar zu folgen.
„Na, wen haben wir denn da? Ich habe schon gehört, dass Sie wieder bei uns sind!“
Er blieb stehen, um Enid Kenny zu begrüßen. Groß und matronenhaft gebaut war die Stationsschwester eine Institution am Sydney Harbour Hospital. Niemand, nicht einmal der mächtige Finn Kennedy, wagte es, sich mit ihr anzulegen.
Wenn Enid Kenny plaudern wollte, dann blieb man stehen und plauderte.
Unglücklicherweise war sie, wie er mit einem bedauernden Blick zu Marcos Sprechzimmertür feststellte, die sich gerade hinter Evie schloss, in bester Plauderlaune.
Evie hätten singen und tanzen können vor Freude. Der Herztonschreiber hatte sie schon beruhigt, aber als sie nun auf dem Ultraschallbildschirm ihren kleinen Jungen sah, war sie überglücklich. Er bewegte sich, sie konnte seine Finger und Zehen zählen, die Herzkammern sehen und sein Gehirn.
Es war alles in Ordnung und so, wie es sein sollte.
„Kann ich den Herzschlag noch mal hören?“, bat sie.
Marco lachte leise. „Selbstverständlich.“
Er betätigte einen Schalter, und das schnelle, gleichmäßige Wopp, Wopp, Wopp eines starken Babyherzens erfüllte den Raum.
Plötzlich ging krachend die Tür auf und schlug gegen die Wand. Finn stand im Türrahmen, mit wildem Blick, und wollte wissen, was zur Hölle hier los sei.
Evie war heftig zusammengezuckt. „Finn …“, flüsterte sie.
Seelenruhig drehte sich Marco mit seinem Stuhl zu ihm um. „Schön, dass Sie da sind, Dr. Kennedy“, sagte er. „Darf ich Ihnen Ihren Sohn vorstellen?“
Finn brauchte ein paar Sekunden, um die Szene vor seinen Augen zu verarbeiten. Gedämpftes Licht. Evie auf der Untersuchungsliege, ihr OP-Hemd hochgeschoben, ein runder Babybauch, bedeckt mit glitschigem Kontaktgel. In Marcos Hand ein Ultraschallkopf, der auf Evies Unterbauch ruhte. Auf dem Monitor ein grobkörniges Bild von einem Fötus, der munter Purzelbäume schlug.
Und der kräftige, stetige Herzschlag eines ungeborenen Kindes.
Finn sah Evie an und stemmte die Hände in die Seiten. „Was zum Teufel …?“ Mehr brachte er nicht heraus.
Marco stand auf, legte den Ultraschallkopf weg und griff nach den Papiertüchern. „Ich glaube, ich lasse euch zwei jetzt allein“, murmelte er, während er das Kontaktgel gründlich abwischte.
Evie setzte sich auf und zog dabei das Hemd über ihren Bauch. Finn trat beiseite, als Marco an ihm vorbeiging, das Licht anschaltete und schließlich die Tür leise hinter sich schloss.
„Du bist schwanger?“ Nach der unerwarteten Wendung der Dinge dröhnte ihm nun sein eigener Herzschlag in den Ohren. Halb hatte er damit gerechnet, Marco und Evie in eindeutiger Stellung auf der Liege zu erwischen. Aber das hier? Niemals!
„Ja.“
Ihre ruhige Antwort war wie ein Fausthieb in seine Magengrube. „War es das, worüber du mit mir sprechen wolltest?“
„Ja.“
Hilflos schüttelte Finn den Kopf. Ihm drohte die Kontrolle zu entgleiten, auf die sonst immer Verlass war. Es hatte ihn harte Jahre gekostet, sie aufzubauen, aber jetzt wickelte sie sich ab wie Garn von einer irrwitzig tanzenden Spule, ohne dass er etwas dagegen tun konnte.
Er bekam kaum noch Luft. Seine Kiefermuskeln schmerzten. Sein Puls klopfte gegen die Schläfen im Takt des einzigen Wortes, das er noch denken konnte. Nein, nein, nein.
„Nein!“, brach es aus ihm hervor.
Er konnte nicht Vater werden. Er konnte kein Vater sein. Er war ein selbstsüchtiger, arroganter Egoist. Er hatte keine Zeit für Kinder. Er ging ganz in seinem Beruf auf. Er hatte nie ein Zuhause kennengelernt, das diese Bezeichnung verdient hätte, und der einzige Mensch, dem er je vertraut hatte, war in seinen Armen gestorben.
Er war beschädigt. Hatte zu viel gesehen, war verbittert und zynisch geworden.
Er hatte einfach nicht das Zeug zu einem Vater.
Finn sah, wie Evie ihn beobachtete. Vorsichtig, aber auch mit Hoffnung. Und er las noch etwas in ihren warmen braunen Augen … etwas, das er immer wieder dort fand, wenn sie ihn anblickte. Vertrauen.
Du hast keine Ahnung, wie ich wirklich bin, dachte er.
Er verhärtete sein Herz gegen das Bild, das sich tief in ihn eingebrannt hatte: sein Baby auf dem Ultraschallmonitor.
„Du musst es abtreiben lassen.“
Unter seinem eisigen Ton zuckte Evie zusammen. Nicht dass sie nicht selbst daran gedacht hätte, flüchtig, in jenen Tagen,
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