Julia Aerzte zum Verlieben Band 61
„Hallo. Ich bin Nat Davies.“ Sie streckte die Hand aus.
Als sie den Mund öffnete, um etwas zu sagen, hatte Alessandro sich innerlich gewappnet, da er halb damit rechnete, einen glasklaren englischen Akzent zu hören. Da ihre Worte jedoch in der langsamen, ruhigen australischen Art herauskamen, entspannte er sich etwas.
Oberflächlich gesehen, waren die Ähnlichkeiten zwischen Nat Davies und seiner verstorbenen Ehefrau verblüffend. Kein Wunder, dass sie Julian gleich gefallen hatte. Aber damit hatte es sich dann auch. Die Frau vor ihm strahlte Offenheit, Freundlichkeit und eine gewisse Unschuld aus, die Camilla nie besessen hatte.
Aus dem anscheinend eilig zusammengebundenen Haar entschlüpften hier und da kleine Strähnen. Es war nicht ordentlich frisiert und so lange gestylt worden, bis jedes einzelne Haar an Ort und Stelle lag. Außerdem hätte Camilla es niemals gewagt, ohne Make-up aus dem Haus zu gehen. Nat Davies wirkte im Vergleich dazu eher wie das Mädchen von nebenan. Nicht wie die vornehme englische Version, die Alessandro geheiratet hatte.
Sogar ihr Parfum roch anders. Camilla hatte immer schwere, würzige Parfums bevorzugt, die noch lange in der Luft hingen, nachdem sie längst das Zimmer verlassen hatte. Nat Davies dagegen duftete nach einem Blumengarten. Und nach Knetgummi. Eine interessante Mischung. Vor allem aber war ihr Blick frei von jeder Künstlichkeit oder Arglist, und Alessandro fühlte sich in ihrer Nähe wesentlich entspannter als jemals bei Camilla.
Er schüttelte kurz ihre Hand. „Alessandro Lombardi.“
Der flüchtige Kontakt ließ Nats Herz unwillkürlich schneller schlagen. Seine Stimme war tief und voll wie Rotwein und dunkle Schokolade. Der leichte Akzent verlieh dem exotisch klingenden Namen noch einen zusätzlichen Zauber. Sein bronzefarbenes Gesicht blieb jedoch angespannt, und Nat hatte den Eindruck, dass der Mann nicht gerade zu starken Gefühlsäußerungen neigte.
Kein Wunder, dass Julian kaum lächelte, wenn er mit diesem Mister Ausdruckslos zusammenlebte. Nat warf einen Blick auf den Jungen, der zu Boden schaute. „Hey, Julian. Hättest du Lust, das Possum Magic – Buch mit nach Hause zu nehmen? Es gehört zu unserer Leihbibliothek. Vielleicht kann dein Vater es dir heute Abend vorlesen.“
Zögernd sah der Junge zu seinem Vater auf, das kleine Gesicht erschreckend hoffnungslos.
Doch Alessandro nickte. „Sì.“
Nat gab Julian das Bilderbuch. Trotz der Zustimmung seines Vaters sah der Kleine immer noch ernst aus. Vielleicht glaubte er nicht daran, dass sein Vater ihm tatsächlich etwas vorlesen würde. Sie musste zugeben, Alessandro Lombardi wirkte nicht wie jemand, der sich mit seinem Sohn zusammen ins Bett kuschelte. „Geh zu Trudy, Julian“, meinte sie. „Sie wird eine Ausleihkarte für dich ausfüllen.“
Beide schauten dem Jungen nach, der zu Trudy ging und dabei das Buch fest an sich presste.
Nat sah Julians Vater wieder an. „Signor Lombardi.“
„Mr Lombardi, bitte“, unterbrach er sie. „Oder Doktor. Julian kann nur wenig Italienisch. Seine Mutter …“ Alessandro hielt inne, überrascht, wie sehr ihn allein die Erwähnung von Camillas Namen schon schmerzte. „Seine Mutter war Engländerin. Es war ihr Wunsch, dass Englisch seine erste Sprache sein sollte.“
Nat war überrascht. Erstens konnte Julian sehr viel mehr Italienisch, als sein Vater ihm zutraute. Und zweitens, welche Mutter würde ihrem Kind die Chance verweigern, eine zweite Sprache zu lernen? Noch dazu die des Vaters.
Doch der Mann stockte, als er von seiner Frau sprach. Dieses Zögern, diese Leere rührte Nat. Offenbar befand er sich noch in tiefer Trauer. Vielleicht versuchte er im Sinne seiner verstorbenen Frau zu handeln, indem er die Dinge in den für Julian gewohnten Bahnen ließ. Oder er bemühte sich verzweifelt, an einem Leben festzuhalten, das von Grund auf erschüttert worden war.
Bei näherem Hinsehen konnte Nat die dunklen Ringe und die feinen Linien an seinen Augen erkennen. Er wirkte erschöpft, als hätte er schon sehr lange nicht mehr richtig geschlafen.
Wer war sie denn, dass sie sich ein Urteil erlauben durfte?
„Dr. Lombardi, ich habe mich gefragt, ob Julian vielleicht ein besonderes Stofftier oder einen Teddybären hat. Irgendetwas von zu Hause, was ihm dabei hilft, sich in dieser neuen Umgebung nicht ganz so allein zu fühlen.“
Alessandro versteifte sich. Ein Stofftier, natürlich. Camilla hätte das gewusst. Es gab doch dieses schäbig
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