Julia Aerzte zum Verlieben Band 61
aussehende Kaninchen, das sein Sohn ständig mit sich herumgeschleppt hatte. Irgendwo.
„Ich war in letzter Zeit sehr beschäftigt. Unsere Sachen sind erst vor wenigen Tagen angekommen, und wir hatten noch keine Zeit, sie auszupacken. Wir leben immer noch aus dem Koffer.“
Nat war entsetzt. Zu beschäftigt, um das eigene Kind mit vertrauten Dingen zu umgeben, nachdem seine ganze Welt zusammengebrochen war?
„Es geht mich sicher nichts an, aber ich hörte, Sie sind seit Kurzem verwitwet.“
Alessandro sah den sanften Ausdruck in ihren Augen und wollte sie anschreien, dass sie damit aufhören sollte. Er hatte ihr Mitgefühl nicht verdient. Stattdessen nickte er nur knapp. „Sì.“
Jetzt wirkte er beinahe noch düsterer als vorhin. Aber trotz seiner grimmigen Miene und der abweisenden Haltung spürte Nat einen fast unwiderstehlichen Impuls, Vater und Sohn zu umarmen. Sie hatten so viel durchgemacht, und beide litten offensichtlich noch sehr. Diese Traurigkeit konnte Nat kaum ertragen.
„Außerdem hätte ich gerne gewusst, ob Julian schon irgendeine psychologische Beratung bekommen hat“, fuhr sie fort. „Er scheint sehr verschlossen zu sein. Den Beratungsservice hier in St. Auburn kann ich empfehlen. Die Kinderpsychologin ist hervorragend. Wir könnten einen Termin für ihn vereinbaren.“
„Sie haben recht“, unterbrach Alessandro sie zum zweiten Mal. In seinem Kiefer zuckte ein Muskel. „Das geht Sie nichts an.“ Er wandte sich nach seinem Sohn um. „Komm, Julian.“
Nat war zumute, als hätte er sie geohrfeigt, und sie wich leicht zurück. Mit seiner Stimme konnte Alessandro Lombardi sogar einen Vulkan einfrieren. Er war es anscheinend nicht gewohnt, dass man seine Autorität anzweifelte.
Ihren letzten Cent hätte Nat darauf verwettet, dass er Chirurg war. Sie beobachtete, wie er mit seinem Sohn zur Tür ging. Julian hob den Arm, um nach der Hand seines Vaters zu greifen, besann sich dann jedoch eines Besseren und ließ ihn wieder sinken. Von der Tür aus winkte er Nat mit einem niedergeschlagenen Lächeln zu, und ihr stieg ein dicker Kloß in den Hals.
Die beiden gingen Seite an Seite und waren gefühlsmäßig doch völlig voneinander getrennt. Weder hob der Vater sein Kind hoch, noch legte er ihm liebevoll die Hand auf den Rücken. Nichts, rein gar nichts, um ihm auf irgendeiner Ebene zu vermitteln: ‚Ich hab dich lieb, ich bin für dich da.‘
Nat hoffte inständig, dass diese merkwürdige Entfremdung zwischen den beiden auf ihre Trauer zurückzuführen war und nicht auf etwas Tiefergehendes. Einen dermaßen resignierten Vierjährigen zu sehen, brach ihr das Herz.
Da sie selbst mit einem emotional distanzierten Vater aufgewachsen war, wusste Nat nur allzu gut, wie zerstörerisch so etwas sein konnte. Wie oft hatte sie sich nach seiner Berührung, seinem Lächeln, seinem Lob gesehnt, nachdem ihr Vater gegangen war? Wie oft hatte er sie enttäuscht, weil er zu sehr mit seiner neuen Familie und seinen Jungen beschäftigt war? Selbst jetzt mit dreiunddreißig suchte sie immer noch seine Liebe. Dass mit einem Kind in ihrer Obhut dasselbe geschah, konnte sie nicht ertragen.
Doch sie spürte, dass auch Alessandro Lombardi litt. Es war hart, ihn so zu verurteilen. Als Krankenschwester war ihr bewusst, welche Auswirkung Trauer auf Menschen hatte. Wie sehr sie einem den Boden unter den Füßen wegziehen konnte. Wahrscheinlich hatte Dr. Lombardi seine Frau sehr geliebt und tat sein Bestes, um überhaupt jeden Tag zu funktionieren. Vielleicht war er im Augenblick nur gefühlsmäßig erstarrt.
Nat seufzte. Nun hatte sie wohl auch für den Vater eine Schwäche entwickelt. Sie sprang eben einfach auf jede rührende Geschichte an.
Nachdem sie am nächsten Tag ihre Schicht in der Tagesambulanz beendet hatte, ging Nat zu einer sehr späten Mittagspause in die Notaufnahme zurück. In der Ambulanz hatte sie eine Krankenvertretung übernommen und war ziemlich erschöpft.
Sie hatte nichts dagegen, außerhalb ihres üblichen Arbeitsbereichs eingesetzt zu werden, und in der Ambulanz hatte sie seit dem Beginn ihres Jobs vor einem halben Jahr schon mehrfach ausgeholfen. Aber es war immer eine sehr volle Vormittagssprechstunde, die regelmäßig weit über ein Uhr hinaus überzogen wurde. Für eine Frühstückspause war auch keine Zeit gewesen, sodass Nats Magen geräuschvoll protestierte. Sie freute sich auf die heiße Fleischpastete, die sie sich gleich gönnen würde.
Da sie auch die halbe Nacht wegen Julian
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