Julia Arztroman Band 62
…“
Allein die Vorstellung war so schmerzhaft, dass sie gar nicht darüber nachdenken wollte. Sie weigerte sich auch, über die Schärfe in seinem Tonfall und das Blitzen in seinen Augen nachzudenken.
„Keine Sorge“, wiederholte sie und trat von ihm zurück. Es würde keine Schwangerschaft geben.
Valentino musterte sie noch ein oder zwei Sekunden, bevor er sich abwandte und kurz darauf in der Dunkelheit verschwunden war.
Die nächsten Wochen flogen nur so dahin. Mit weiteren telemetrischen Messungen zu McKenzies Implantat und der zweimal wöchentlich stattfindenden Sprachtherapie war Paige in den restlichen drei Wochen ihres Urlaubs vollauf beschäftigt.
Die Ergebnisse waren fantastisch. Nach wenigen Tagen wurde klar, dass McKenzie so ziemlich alles hören konnte.
Die Instrumente in ihrer Spielzeugkiste, die sie bisher lediglich bewegt hatte, machten nun Geräusche. Der Stock hüpfte nicht bloß auf der Bongotrommel, sondern er trommelte. Das Tamburin wackelte nicht nur, es rasselte auch. Und die Glöckchen bimmelten.
Die Türglocke läutete. Der Abfluss gurgelte, wenn das Wasser ablief. Und der Fernseher redete mit McKenzie. Die Wiggles redeten mit ihr! Jeder Klang war neu und aufregend.
Zu Anfang schaute McKenzie bestimmte Gegenstände einfach erwartungsvoll an, als müssten sie von allein Laute produzieren. Doch schnell begriff sie, dass sie selbst etwas tun musste, um ihnen Klänge zu entlocken. Und bald war nichts mehr vor ihr sicher.
Auch ihr Sprechvermögen hatte sich entwickelt. In nur wenigen Wochen beherrschte sie bereits mehrere Wörter. Paige hatte nie zu hoffen gewagt, dass ihre Tochter eines Tages Mummy zu ihr sagen würde. Es war der schönste Moment ihres Lebens.
McKenzie und Paige gebärdeten noch immer, auch wenn sie miteinander sprachen. Denn McKenzie würde die Gebärdensprache auch in Zukunft benötigen, da sie ohne den externen Teil des Implantats weiterhin taub war.
Außerdem war es ein großer Vorteil, zweisprachig zu sein. Valentino war das beste Beispiel dafür. Es wäre zu schade, diese Fähigkeit zu verlieren.
Ehe Paige sich versah, musste sie wieder an die Arbeit zurückkehren, was sie nur widerstrebend tat. Jede Minute mit ihrer Tochter, die die Welt ganz neu entdeckte, empfand sie als wertvoll. Es fiel ihr schwer, das aufzugeben.
Natürlich war McKenzie bei ihren Großeltern in guten Händen, aber es schmerzte Paige jedes Mal, wenn sie ihrer Tochter an drei Tagen in der Woche einen Abschiedskuss geben musste. Der einzige Trost war, dass sie ihre Tochter sehen konnte, wenn McKenzie zur Sprachtherapie kam. Paige achtete daher darauf, dass die Termine auf die Tage gelegt wurden, an denen sie Dienst hatte.
Das war wenigstens ein Vorteil, wenn man die ganze Abteilung organisierte. Nach weiteren drei Wochen hatte sich schließlich alles wieder eingespielt. McKenzie war schon monatelang nicht mehr krank gewesen. Sie hatte sogar ein etwas runderes Gesicht bekommen.
Mit Valentino lief es besser, als Paige erwartet hatte. Zunächst hatte sie befürchtet, dass es schwierig, vielleicht peinlich werden würde. Aber ihnen beiden war daran gelegen, dass ihr Arbeitsverhältnis funktionierte. Außerdem hatte er ein großartiges Verhältnis zu McKenzie, die schnell gelernt hatte, Dr. Valentino zu ihm zu sagen.
Dann gab es auch noch ermutigende Neuigkeiten über den kleinen Ben, der von der Intensivstation auf eine auf Gehirnschäden spezialisierte Station verlegt worden war.
Das Schicksal schien es ausnahmsweise mal gut mit ihr zu meinen, fand Paige.
Doch plötzlich ging wieder alles schief.
Der Donnerstag der dritten Woche, nachdem sie wieder angefangen hatte zu arbeiten, begann wie gewohnt. Von Kopf bis Fuß in grüne OP-Kleidung gehüllt wartete sie darauf, dass Valentino sich die Hände abtrocknete und ebenfalls seinen OP-Kittel anzog. Da verspürte sie unvermittelt einen starken Druck auf der Blase.
Verärgert unterdrückte sie den Drang, auf die Toilette zu gehen. Immerhin war sie heute Morgen schon dreimal dort gewesen. Zuletzt kurz vorm Umziehen. Es konnte also gar nicht sein, dass sie schon wieder musste.
Außerdem hatte sie zum Frühstück lediglich ein Glas Wasser getrunken. Die jahrelange Erfahrung als OP-Schwester hatte sie gelehrt, genau aus diesem Grund niemals Tee oder Kaffee vor einer längeren Operation zu trinken.
Schließlich würde sie den gesamten Ablauf aufhalten, wenn sie sich nach dem Toilettengang erst wieder schrubben und frische OP-Kleidung anziehen
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