Julia Bestseller Band 144
sie mit Kevin auf dem Arm gesehen hatte. „Als du von hier fortgegangen bist, hast du da nicht einmal daran gedacht, mir zu schreiben?“, fragte sie leise.
„Nein. Ich hatte dir nichts Gutes zu erzählen. Nicht einmal etwas, das ich dir mit wirklicher Zuversicht hätte versprechen können.“
Sein Stolz. Sein Bedürfnis, zuerst Selbstachtung zu erringen, bevor er an sie herantreten konnte.
„Ich blieb noch hier, bis ich die Schule abgeschlossen hatte. Das war sozusagen mein Startkapital, auf dem ich aufbauen wollte. Dann nahm ich in Sydney jeden erdenklichen Job an und besuchte nebenbei das College. Mein Leben bestand aus Arbeit, Vorlesungen, Lernen und der Kunst, dabei so billig wie möglich über die Runden zu kommen.“
Er drehte sich um, lehnte sich mit dem Rücken gegen den Zaun und zog Beth in seine Arme. „Du weißt ja sehr gut, wie das ist, Beth. Denn du hast es in Melbourne nicht anders erlebt und dich dabei noch um deine Familie gekümmert.“
„Es bleibt keine Zeit für Spaß“, bekräftigte sie mitfühlend.
„Mein Ziel war, ein Stipendium am Wirtschaftscollege zu bekommen. Das sollte mir die angemessenen Qualifikationen zum Einstieg in die Finanzwelt verschaffen.“ Jim sah Beth an und fügte fast entschuldigend hinzu: „Wenn man nichts hat, ist die Vorstellung, sehr viel Geld zu machen, ziemlich … verlockend.“
Beth wusste, was es bedeutete, zu wenig Geld zu haben. Ihr Vater hatte die Farm deswegen verloren, und in den ersten Jahren in Melbourne war die Familie nur mühsam über die Runden gekommen.
„Ich schuftete wie verrückt und sparte jeden Cent für den Fall, dass ich das Stipendium nicht erhalten würde“, erzählte Jim weiter. „Denn ich war entschlossen, die nötigen Qualifikationen so oder so zu erwerben. Eine Woche vor Beginn des ersten Semesters wurde mir das Stipendium zugesprochen.“
„Das muss ein wundervoller Moment für dich gewesen sein“, sagte Beth stolz und lächelte strahlend zu ihm auf.
Doch Jim erwiderte ihr Lächeln nicht. Sein Blick war schmerzerfüllt, als er fortfuhr: „Das war der Zeitpunkt, als ich damals nach Melbourne kam, um dich aufzusuchen, Beth. Ich sah endlich eine Zukunft. Also warf ich meine Jobs hin und kam zu dir, um es dir zu erzählen.“
Beths Gesicht wurde ernst. Sie konnte sich seine überschwängliche Freude vorstellen, seinen Wunsch, diesen Erfolg mit ihr zu teilen. Und dann waren all diese Gefühle zerstört worden …
„Es war in der ersten Februarwoche“, erzählte Jim weiter. „Als ich zu der Adresse gelangte, die du mir hinterlassen hattest, war es schon zu spät, um dich noch zu erwischen, bevor du zur Schule gegangen sein würdest. Aber das machte mir nichts aus. Ich spazierte glücklich durch die Gegend und stellte mir vor, wie du dort lebtest.“
„Warum hast du nicht an unsere Tür geklopft?“
„Ich wollte zuerst dich sehen. Ich mochte deine Familie, natürlich, aber du … du warst das Wichtigste für mich. Ich stellte mir unser Wiedersehen vor … das Aufleuchten in deinen Augen, wie du auf mich zurennen und alles fallen lassen würdest, um mich zu umarmen. Und dann würde ich dich herumwirbeln, und wir würden lachen und einfach überglücklich sein. Mit sechzehn würdest du ja schon fast erwachsen sein, und wir würden unsere gemeinsame Zukunft planen.“
Junge, romantische Träume, die dann mit einem Schlag zunichte gemacht wurden. Beth weinte im Stillen darum … und auch um ihre eigenen, die langsam und schmerzlich gestorben waren.
Jim seufzte gequält. „Als ich dich mit Kevin auf dem Arm erblickte … Ich wollte es zuerst nicht glauben. Du warst gar nicht in der Schule. Du hattest ein Baby!“
Das hatte ihm den Boden unter den Füßen weggezogen. Beth konnte sich vorstellen, wie niederschmetternd dieser Augenblick für ihn gewesen sein musste.
„Ich hatte nie ein anderes Mädchen auch nur angesehen, Beth“, sagte Jim fast beschwörend. „Für mich gab es nur dich.“
„Schon gut“, flüsterte sie. Es gab nichts, was sie ihm hätte verzeihen müssen. „Ich verstehe jetzt sehr gut, wie es für dich gewesen sein muss. Wenn ich gesehen hätte, wie du ein anderes Mädchen umarmst, hätte ich genauso empfunden.“
Jim schüttelte traurig den Kopf. „Mein einziger Gedanke war … dass es nicht mein Baby war. Du hattest ein Kind von einem anderen.“
Der schlimmste Verrat. Drei Jahre der Trennung, ohne dass auch nur ein Brief den anderen erreicht hatte, hatten den Boden für Zweifel
Weitere Kostenlose Bücher