Julia Bestseller Band 146
Enrico die Ähnlichkeit sofort festgestellt hatte, hatte sie zutiefst getroffen. Er sollte sich nur nichts einbilden, schließlich hatte er jede Verantwortung abgelehnt. Niemals würde sie ihm verzeihen, wie schäbig er sie behandelt hatte.
„Verschwinde aus meinem Leben“, hatte er vor drei Jahren gebrüllt. „Du hinterhältiges, verlogenes Luder. Ich will dich nie wiedersehen.“
Verbittert, kalt, herzlos, arrogant, überheblich, voreingenommen, taub … Andere bezeichnende Wörter fielen ihr im Moment nicht ein, aber das reichte ja auch schon.
Vielleicht hat er seine Meinung Nicky betreffend geändert, dachte sie hoffnungsvoll. Ihr kleiner Junge war ihm immerhin wie aus dem Gesicht geschnitten. Doch auch Enricos Cousin Luca hatte das blendende Aussehen der Ranieris geerbt. Natürlich konnte der gemeine, verschlagene Kerl Enrico nicht das Wasser reichen, doch die Familienähnlichkeit zwischen den beiden war vorhanden. Daran würde auch Enrico sich inzwischen wieder erinnert haben.
Und dann fragte sie sich plötzlich, was Enrico im Foyer von Hannard zu suchen gehabt hatte? Er hatte die Firma doch wohl nicht etwa übernommen? Nicht auszudenken, dann wäre er wieder ihr Chef!
Nein, das konnte und durfte nicht wahr sein. Vielleicht war er mit Josh Hannard befreundet und wollte ihn zum Mittagessen abholen. Und ich bin die Kaiserin von China, dachte Freya und schüttelte verzweifelt den Kopf, denn sie wusste, dass Enrico Ranieri nur aus einem einzigen Grund mit seinem Gefolge irgendwo auftauchte: um eine Firma zu übernehmen. Jetzt würde er ihr das Leben erneut zur Hölle machen. Dabei hatte sie sich noch nicht einmal von seinem ersten Versuch erholt.
Vor drei Jahren war sie seine Chefsekretärin gewesen und hatte ein wunderbares Leben an seiner Seite und in seinem Bett geführt. Sie waren so vernarrt ineinander gewesen, dass sie es kaum ausgehalten hatten, auch nur fünf Minuten voneinander getrennt zu sein. Sie hatten sich voller Leidenschaft geliebt – bei jeder sich bietenden Gelegenheit.
Dann hatte sie seinen Cousin kennengelernt, und innerhalb weniger Wochen war es vorbei gewesen mit der Idylle.
„Affe“, sagte Nicky ruhig.
„Wir gehen morgen zu den Affen“, versprach Freya und betrachtete ihren schwarzhaarigen Sohn liebevoll. Er war der wichtigste Mensch in ihrem Leben, gleichgültig, wer sein Vater war.
„Nein, Affe da“, sagte er und zeigte mit dem Finger in eine bestimmte Richtung.
Freya drehte sich um, und ihr Blick fiel auf den bulligen Fredo Scarsozi. Er stand etwa sechs Meter von ihnen entfernt im Schatten eines Baumes und schien sie nicht aus den Augen zu lassen. Als er ihr zunickte, wusste Freya, was die Stunde geschlagen hatte. Enrico hatte seinen engsten Vertrauten beauftragt, Nicky und sie zu beobachten.
Das könnte ihm so passen, dachte sie und stand auf. Nicky war ihr Sohn, ganz allein ihr Sohn. Sollte Enrico doch beweisen, dass er der Vater war. Wenn ihn das überhaupt interessierte. Wahrscheinlich ist es ihm ziemlich gleichgültig, dachte sie und streckte die Hand nach Nicky aus.
„Komm, Schatz“, sagte sie leise, „wir müssen zurück.“
Nicky gehorchte widerspruchslos, denn das Brot war alle, und die Enten waren wieder zum Teich gewatschelt. Als er drei Monate alt gewesen war, hatte sie den Job bei Hannard gefunden. Die Firma verfügte glücklicherweise über eine Kinderkrippe, wo sie Nicky gut untergebracht wusste, während sie arbeitete.
Die Arbeit war nicht besonders anspruchsvoll und dementsprechend schlecht bezahlt. Doch immerhin reichte es für das Nötigste und für Nickys Platz in der Krippe. Es war ein großer Vorteil, mit ihm unter einem Dach zu sein. So konnte sie ihn immer sehen, wenn ihr danach zumute war.
Sie führten ein glückliches Leben zu zweit und brauchten keinen Mann. Wenn Enrico sich von seinem Schock erholt hatte, würde er bestimmt zu der Einsicht gelangen, ohne sie und Nicky besser dazustehen.
„Der Affe kommt hinterher“, sagte Nicky.
„Das ist kein Affe, sondern ein Mensch“, berichtigte Freya den Kleinen, ohne sich nach Fredo umzudrehen. Doch die Tatsache, dass er ihnen gefolgt war, verhieß nichts Gutes. Enrico würde wahrscheinlich nicht eher ruhen, bis er die Wahrheit herausgefunden hatte. Er war schließlich rücksichtslos und beharrlich.
2. KAPITEL
Dieses verlogene, gemeine Miststück …
Enrico saß am Schreibtisch und betrachtete – leise vor sich hin fluchend – das Foto, das man ihm mit allen anderen gewünschten
Weitere Kostenlose Bücher