Julia Bestseller Band 146
übergab, umfasste sie den geliebten kleinen Jungen so fest, dass er protestierte. Sie fing Fredos wissenden Blick auf und verließ mit Nicky auf dem Arm, wie von Furien gehetzt, das Gebäude.
„Folg ihr“, befahl Enrico seinem Bodyguard.
Fredo nickte und machte sich sofort auf den Weg.
Inzwischen hatte Enrico sich so weit wieder unter Kontrolle, dass er auf die umstehenden Leute einen beherrschten Eindruck machte. Trotzdem musterten ihn seine Assistenten, als wäre er plötzlich verrückt geworden. Die anderen Anwesenden sahen ihn teils fasziniert, teils furchtsam an. Sie wussten, was seine Anwesenheit bei Hannard bedeutete.
Enrico Ranieri war in ganz Europa dafür bekannt, angeschlagene Firmen aufzukaufen und sie zu sanieren, wobei so mancher Mitarbeiter auf der Strecke blieb. Stets schlug er ohne Vorwarnung zu. Wenn Enrico in einer Firma auftauchte, dann musste man mit dem Schlimmsten rechnen.
Sein soeben an den Tag gelegtes Verhalten war das beste Beispiel dafür. Er hatte eine Mitarbeiterin heruntergeputzt und an die Luft gesetzt, nur weil sie ihr Kind mitgebracht hatte. So jedenfalls hatte es sich den entsetzten Angestellten von Hannard dargestellt.
Die halten mich jetzt bestimmt für kinderfeindlich, dachte Enrico. Wahrscheinlich befürchten sie, dass ich die Kinderkrippe auf der Stelle schließen werde. Vielleicht tue ich das sogar, dachte er rachsüchtig, bedachte die Mitarbeiter mit einem abweisenden Blick und machte sich wieder auf den Weg zu den Fahrstühlen.
Er drückte auf einen Knopf und beobachtete, wie seine Begleiter sich beeilten, zu ihm in den Lift zu steigen. Keiner wagte, den Mund aufzumachen. Das war auch gut so, denn Enrico hatte nur einen Gedanken, der ihn nicht mehr losließ: Freya hatte seinen Sohn zur Welt gebracht.
Der Fahrstuhl hielt in der Führungsetage, und ein Begrüßungskomitee erwartete Enrico.
Darauf hätte er jetzt gern verzichtet. Im Moment stand ihm der Sinn nicht nach Geschäftsverhandlungen. Er wollte …
Der Blick seiner dunklen Augen war so eiskalt, als er den Fahrstuhl verließ, dass die Leute sich erschrocken zurückzogen. Nur ein Mann brachte den Mut auf, zu sagen: „Bitte hier entlang, Mr Ranieri.“
Enrico nickte und folgte dem Angestellten in ein großes, lichtdurchflutetes Büro, in dem sich auch die anderen Konferenzteilnehmer versammelt hatten. Er ignorierte sie jedoch und wandte sich seinem Chefsekretär zu. „Hör zu, Carlo, ich will die Lebensläufe aller Mitarbeiter in zehn Minuten auf meinem Laptop haben.“
Die Führungsriege der Firma Hannard reagierte sehr beunruhigt auf diese Äußerung, doch Enricos Begleiter zuckte nicht mit der Wimper.
„Die Vorstandssitzung wird auf morgen verschoben“, verkündete Enrico. „Unmittelbar vorher möchte ich mit dem Management sprechen. Das wär’s.“ Enrico wandte sich ab, ging zu dem Schreibtisch, an dem bis vor Kurzem noch Josh Hannard gesessen hatte, und wartete darauf, dass die anderen Leute den Raum verließen.
„Aber wir wollten uns doch bei einem Arbeitsessen vorstellen“, beschwerte sich einer der Manager.
„Wenn ich Sie wäre, würde ich aufs Mittagessen verzichten und auswendig lernen, womit Sie sich Ihr Gehalt verdienen“, antwortete einer von Enricos Leuten.
„Aber Mr Hannard …“
„Mr Hannard hat die Geschäftsleitung an Mr Ranieri übergeben. Und der versteht keinen Spaß.“
Enrico lächelte, als er das hörte. Doch das Lächeln verging ihm sofort, als er den Blick gedankenverloren über die Dächer von London gleiten ließ.
Sein Sohn. Er hatte einen Sohn!
Das wird sie mir büßen, dachte er wütend. Freya sollte ihn kennenlernen!
Freya saß im Park auf dem Rasen, von Enten umzingelt, die ihr Sohn mit Brotkrumen fütterte. Trotz des angenehm warmen Sommertages fröstelte sie. Ihr war immer kalt, wenn sie an Enrico dachte. Verletzter Stolz, Hass und Verachtung konnten die warmherzigste Frau in einen Eisblock verwandeln. Außerdem hatte sie Angst vor Enricos nächstem Schritt.
Sie verlagerte ihr Gewicht und blinzelte, als eine hungrige Ente nach ihrer Hand schnappte. Sie überließ dem gierigen Vogel die Kruste und betrachtete Nicky. Der Kleine war in seinem Element. Lächelnd fütterte er die Enten und sah seinem Vater ähnlicher denn je.
Jetzt, da sie Enrico wiedergesehen hatte, fiel ihr die enorme Ähnlichkeit erst recht auf. Nicky hatte Enricos schönes Gesicht mit den dunklen Augen, dem energischen Mund und dem markanten Kinn geerbt.
Die Tatsache, dass auch
Weitere Kostenlose Bücher