JULIA COLLECTION Band 10
Aber das hat mir nichts ausgemacht. Ihre Kinder mochten mich, und damals brauchte ich einfach jemanden, der mir ein bisschen Liebe entgegenbrachte.“
Betroffen hörte sich Rico Renées Geschichte an. Bisher hatte er kaum einen Gedanken an ihre Jugend verschwendet oder sich überlegt, welche Erziehung sie genossen hatte. Trotzdem behauptete er von sich, sie zu lieben. Vielleicht war er genauso selbstsüchtig wie dieser Roberto. Womöglich waren das alle Männer. Wie auch immer, es war höchste Zeit, dass er einmal an Renée dachte und nicht nur an sich selbst.
„Du hast gar nicht von deinem Onkel gesprochen. Hoffentlich hattest du keine Probleme mit ihm.“
Verwundert sah sie ihn an. „Was meinst du damit? Oh … ich verstehe. Warum denken die Leute immer gleich an so etwas?“
Rico zuckte die Schultern. „Bestimmt hast du schon mit zwölf hübsch ausgesehen.“
„Nein, eigentlich nicht. Ich bin nie süß und knuddelig gewesen. Dazu war ich zu dürr. Ich ähnelte mehr einem Strich in der Landschaft mit riesengroßen grünen Augen. Mein Spitzname in der Schule war Froschauge. Und dann, so mit vierzehn, hatte ich noch einmal einen Wachstumsschub. Das bescherte mir spindeldürre Beine, wobei sich meine Brüste kaum entwickelt hatten. Ich gehörte nicht zu den Mädchen, nach denen Männer sich umsahen. Außerdem war ich ziemlich gehemmt. Das besserte sich zwar so mit achtzehn. Aber auch da hatte ich noch kein bisschen Klasse, bin immer leicht gebückt gegangen und habe den Blick ständig auf den Boden gerichtet.“
„Das kann ich mir kaum vorstellen. Heute gehst du so … grazil.“
„Dank eines Ballettkurses. Als ich nach Sydney kam, habe ich bei einem Preisausschreiben mitgemacht und die Teilnahme an diesem Kurs gewonnen. Damals arbeitete ich in einer chemischen Fabrik und habe dort die Post verteilt. Wie auch immer, der Kursleiter sagte damals, ich hätte das klassische Aussehen eines Models, und empfahl mich einer Agentur. Nie hätte ich damit gerechnet, angenommen zu werden, aber in null Komma nichts war ich auf dem Laufsteg. Zwar hat es nie zum Supermodel gereicht – dazu bin ich dann doch nicht groß genug –, aber mein Honorar bescherte mir trotzdem ein sorgenfreies Leben.“
„Ich muss gestehen, dass ich mich nicht erinnere, in diesem Zusammenhang einmal deinen Namen gehört zu haben. Aber damals hatte ich mit Models ohnehin nichts am Hut.“
„Wegen der mangelnden Oberweite?“
„Sehr witzig! Aber nein, ich glaube, mein Ego war nicht stark genug, um mich mit erfolgreichen Frauen zu messen. Ich wollte Mädchen, die mich anhimmeln und mir immer sagen, wie toll ich sei. Ich hoffe, dass sich das inzwischen geändert hat. Ich weiß, dass du der Meinung bist, ich würde von einer Blondine zur nächsten schwirren. Aber das stimmt nicht. Zumindest nicht mehr.“
Gedankenverloren sah sie ihn an. „Du überraschst mich, Rico. Es ist ein Zeichen von Reife, wenn man zurückblicken kann und versteht, warum man Dinge damals so und so gemacht hat. Ich bin wirklich froh, dass du dich nicht wieder mit Frauen wie Jasmine einlassen willst. Du hast etwas Besseres verdient.“ Sie lächelte. „Ich kann gar nicht glauben, dass ich so etwas sage.“
Ihre Blicke begegneten sich, und Rico hätte sie am liebsten geküsst. Aber er hielt sich zurück und beschloss, noch mehr über sie herauszufinden. „Wie kam es denn zu dem Unfall deiner Eltern?“
Traurig sah Renée ihn an. „Mum und Dad mussten meine kleine Schwester Fay zu einem Spezialisten nach Sydney bringen. Sie hatte eine Rückgratverkrümmung. Wir wohnten auf einem Bauernhof unweit von Mudgee, und auf dem Land gibt es nun einmal keine Spezialisten. Meine Eltern waren ganz früh am Morgen losgefahren und haben den Tag im Krankenhaus verbracht. Danach sind sie noch essen gegangen und haben erst ziemlich spät den Heimweg angetreten. Sie waren kurz vor Mudgee, als der Wagen von der Spur abkam und frontal mit einem entgegenkommenden Lkw zusammenstieß. Die Polizei ging davon aus, dass mein Vater am Steuer eingenickt ist.“
„Du Arme, das tut mir so leid, Renée!“, rief Rico betroffen. Ihre Blicke begegneten sich, und er hoffte, Renée würde erkennen, dass er wirklich mitfühlte.
„Du bist gar nicht der große böse Wolf“, stellte sie stirnrunzelnd fest, und Rico lächelte, glücklich darüber, dass Renée endlich einmal nicht nur den Playboy in ihm sah.
„Nein, aber die letzten beiden Tage bin ich nicht wirklich in Form gewesen.“
„Wow,
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