JULIA COLLECTION Band 11
Bild und schien alles andere zu vergessen.
Lucien geleitete Avis aus dem Zimmer, und sie hörte Schwester Karen zu Nicholas sagen: „Ich stelle jetzt wieder die Uhr ein. Du kannst dein Buch ansehen, bis sie klingelt.“
Lucien schloss die Tür. „Tja, jetzt weißt du es.“
„Es tut mir so leid.“
„Karen ist speziell für autistische Kinder ausgebildet, und die Wissenschaft hat in letzter Zeit große Fortschritte gemacht. Nicholas hat gute Chancen, ein relativ normales Leben zu führen. Ich dagegen habe wenig Hoffnung auf eine normale Vaterschaft. Seine Umgebung muss sehr sorgfältig kontrolliert werden. Jede Veränderung muss langsam und schonend erfolgen. Sonst überwältigen ihn die Stimuli. Wir haben Glück, dass er sehr, sehr intelligent ist. Ich fürchte, er ist außerdem ein wenig verwöhnt.“
„Und das wäre er auch ohne Autismus, vermute ich.“
Er lächelte zustimmend. „Das Problem ist, dass er nicht das braucht, was wir als normale Eltern bezeichnen. Und offen gesagt, wäre eine Stiefmutter derzeit eine echte Komplikation. Aber ich bin sicher, dass du ihm auf lange Sicht guttun würdest. Sonst hätte ich nie erwogen, dich zu heiraten.“
„Ich verstehe.“ Entgegen ihrer Befürchtung brauchte Nicholas sie nicht. Das Gegenteil war der Fall. „Zum Glück kannst du ihm bieten, was er braucht.“
„Ja, und dafür bin ich sehr dankbar. Viele andere Eltern haben nicht die Mittel, und deshalb habe ich schon Millionen gestiftet und werde es weiterhin tun.“
Sie lächelte. „Das ist schön.“
Er strich sich durch das Haar. „Ich wollte es dir eigentlich nicht auf diese Weise beibringen, aber ich hatte von Anfang vor, dir die Situation zum gegebenen Zeitpunkt zu erklären. Jetzt sehe ich ein, dass ich es zu lange hinausgezögert habe. Ich werde dich nicht zu einer Entscheidung drängen. Du brauchst Zeit, um das alles zu verarbeiten.“
Sie hatte bereits genug verarbeitet, um zu begreifen, dass Lucien sie eigentlich gar nicht gebrauchen konnte und sie sein Leben nur verkomplizierte. Warum also wollte er sie heiraten? Der Gedanke, dass er sie anscheinend wirklich liebte, verschlug ihr den Atem. Doch eine sehr wichtige Frage blieb ungeklärt. War sie fähig, die Schwierigkeiten zu meistern, die ihr bevorstanden, wenn sie ein fester Bestandteil seines Lebens wurde?
„Ich nehme an, du möchtest dich vor dem Lunch etwas ausruhen“, vermutete Lucien, während er sie durch das Haus führte. „Meine Mutter hat dich in einem getrennten Zimmer untergebracht, und ich möchte mich deswegen nicht unbedingt mit ihr anlegen. Es sei denn, du legst Wert darauf.“
„Belassen wir es lieber dabei“, erwiderte Avis sanft.
Er nickte, doch seine Enttäuschung war ihm deutlich anzumerken. Während er sie zu ihrem Zimmer führte, beschlossen sie, nicht über Nacht zu bleiben, sondern schon am selben Nachmittag zurückzufliegen.
Beim Lunch, der auf einer der vielen Terrassen eingenommen wurde, gab Eugenia sich so umgänglich, als wäre nie ein böses Wort gefallen.
Anschließend beobachtete Avis aus einiger Entfernung, wie Lucien mit seinem Sohn spielte und ihn unterrichtete. Jede Geste, jedes Wort war genau kalkuliert. Er bewies eine Engelsgeduld und bemühte sich, Avis ein wenig einzubeziehen, aber Nicholas blieb ihr gegenüber verschlossen.
Das wird vorerst auch so bleiben, schoss es ihr durch den Kopf. Außerdem wurde ihr bewusst, dass Nicholas, je älter er wurde, immer mehr Zeit und Aufmerksamkeit beanspruchen würde. Und das bedeutete, dass Lucien auch von seiner Ehefrau erwartete, mehr und mehr mit Nicholas zu interagieren – und mit Eugenia. Aufgrund dieser Tatsachen bedurfte ihre Entscheidung einer reiflichen Überlegung. Sie konnte nicht leugnen, dass ihre alten Ängste um ihre Unabhängigkeit verstärkt aufkeimten.
Als die Limousine gegen neun Uhr abends vor ihrem Haus vorfuhr, erklärte Lucien zu ihrer Überraschung: „Ich komme nicht mit rein. Ich will dich nicht weiter bedrängen. Außerdem habe ich einige Geschäfte vernachlässigt, um die ich mich jetzt kümmern sollte.“
Sie nickte stumm. Einerseits war sie erleichtert, andererseits aber auch enttäuscht. Lucien war ein Mann, der für seine Ziele kämpfte. Gab er nun einfach auf?
Manchmal schien es ihr, als könnte er ihre Gedanken lesen. Er küsste sie, lächelte sie dann sehnsüchtig an und sagte: „Weißt du, ich wollte es mir selbst nicht eingestehen, aber es läuft alles nur auf eines hinaus – ob du mich wirklich liebst
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