JULIA COLLECTION Band 14
stellte fest, dass fast der ganze Jahrgang sich in ihrem Buch mit witzigen Sprüchen verewigt hatte, nur er nicht. Ihn hatte sie nicht gefragt.
Willis nahm seinen schmalen Tintenstift aus der Hemdtasche, zog mit den Zähnen die Kappe ab und fand tatsächlich ganz hinten im Buch noch eine kleine freie Stelle. Und bevor er so richtig wusste, was er tat, schrieb er in winzigen Buchstaben: „Für Rosemary, deren Schönheit die Wintertage erwärmt, deren Lächeln die Dunkelheit erhellt und deren Geist für mich ein ewiges Geheimnis bleiben wird. Willis Random“.
Dann steckte er den Stift wieder zurück, klappte das Jahrbuch zu und warf es in den Karton. Erst jetzt fiel ihm auf, dass sein Herzschlag sich beschleunigt hatte und ihm der Schweiß auf der Stirn stand. Innerhalb von wenigen Minuten schien die Temperatur in dem Bodenraum stark angestiegen zu sein. Er sah noch einmal zu dem Jahrbuch hinüber. Warum nur hatte er diese sentimentale Widmung hinterlassen?
Vielleicht wollte er nur sicher sein, dass Rosemary sich immer an ihn erinnerte. Irgendwann, in vielen Jahren, würde sie vielleicht hier auf den Boden steigen und in ihren alten Sachen wühlen. Sie würde sicher auch das alte Jahrbuch in die Hand nehmen, und wenn sie seinen Eintrag sah, würde sie sich sicher wundern. Da sie ihm das Buch nicht gegeben hatte, musste er es ihr irgendwann entwendet haben, als sie nicht aufgepasst hatte.
Und ganz vielleicht würde sie dann entdecken, dass auch ihre Gefühle für ihn nicht so ganz eindeutig waren. Und sie würde verstehen, warum er sich ihr gegenüber so feindselig verhalten hatte.
Rosemary hatte nun wirklich alles getan, was ihre Freundinnen verlangten, und war wirklich mit einer weißen Flagge auf ihn zugegangen. Aber anstatt dieses Waffenstillstandsangebot zu akzeptieren, hatte er ihr die Flagge sozusagen entrissen und mit seinen dicken, klobigen Wanderschuhen in den Dreck getreten.
Auch gut.
Sie warf sich auf das Sofa und zog den Teller mit den Eiskugeln näher an sich heran. Vier Tage waren seitdem vergangen, aber immer noch kochte sie vor Wut, wenn sie an seine Zurückweisung dachte.
Dass er sie für geistig unterbelichtet hielt, war ja weiter keine Überraschung für sie. „Das verstehst du nicht, Rosemary“, die Worte hallten immer noch in ihr nach, und sie war überrascht, dass sie immer noch so wehtaten. Nein, sie würde natürlich nie verstehen, wie Willis’ Hirn arbeitete, hatte keine Vorstellungen davon, was er alles gelernt hatte. Das bedeutete aber nicht, dass sie nicht auch etwas zu bieten hatte. Nur war Willis das offensichtlich vollkommen gleichgültig.
Dennoch wäre es nett gewesen von ihm, wenn er sich auch etwas Mühe gegeben hätte, freundlich zu sein.
Seitdem war sie nie wieder auf den Boden gegangen, und er hatte nie mit ihr zu Abend gegessen. Die wenigen Male, die sie sich in den letzten Tagen im Haus begegnet waren, waren sie fast wortlos aneinander vorbeigegangen.
Willis hatte nun wirklich seine Chance gehabt, und er hatte sie nicht genutzt. Also herrschte weiterhin Krieg. Sie hatten sich schon in der Highschool nicht leiden können und waren sich auch jetzt herzlich unsympathisch. Warum sollte man das leugnen, auch wenn sie inzwischen erwachsen geworden waren? Von seiner aufregenden Figur und den blauen Augen abgesehen war er wirklich nicht der Mann, in den man sich verlieben konnte. Ihn begehren, sicher, aber lieben? Unmöglich!
Solange er sich in ihrem Haus aufhielt, würde sie ihm eben möglichst aus dem Weg gehen. Das sollte nicht besonders schwierig sein, denn nachts arbeitete er meistens, während er tagsüber schlief.
Ska sprang ihr auf den Schoß, und Rosemary sah sie misstrauisch an. „Du hast dich ja richtig rar gemacht in der letzten Zeit. Willst du mir nicht sagen, wo du die letzten Nächte warst? In meinem Bett wenigstens hast du nicht geschlafen.“
Ska streckte sich genüsslich und warf ihrem Frauchen einen dieser unergründlichen Blicke zu, die Katzenliebhabern so vertraut sind.
„Du solltest deine Zeit lieber nicht mit Triangel vergeuden“, sagte Rosemary warnend und kraulte der Katze den weichen Bauch. „Das ist nicht der Richtige für dich. Du hast etwas Besseres verdient als diesen hochnäsigen Kater, der nur von Wissenschaftlern getestetes Futter frisst. Er wird dir das Herz brechen.“
Ska sah sie gleichgültig an und hob spielerisch eine Pfote. „Und nimm dich in acht vor blauen Augen.“ Rosemary seufzte und griff nach der Fernsehzeitschrift.
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