JULIA COLLECTION Band 16
Marines vierundzwanzig Stunden am Tag in Alarmbereitschaft sein musste, und das nicht nur für Seenoteinsätze, sondern auch für die Zusammenarbeit mit der hiesigen Polizei. In Notsituationen interessierte es die Leute nicht, von wem sie gerettet wurden, solange ihnen überhaupt jemand zu Hilfe kam.
Normalerweise nahm die Küstenwache ihnen eine Menge Arbeit ab, wenn es zu einer Katastrophe kam. Aber hier in Beaufort befand sich die nächste Küstenwache in Savannah, und wenn man darauf warten wollte, bis von dort Hilfe kam, konnte man genauso gut gleich das Handtuch werfen. Aidan kniff die Augen zusammen, als die Sonne kurz hinter einer Wolkenbank hervorlinste, und dachte an den letzten Hurrikan, der vor gerade einem Monat vorbeigerauscht war.
Baywater hatte Glück gehabt. Es hatte nur sehr viel geregnet und war so windig geworden, dass vereinzelte Fensterläden abgerissen und ein paar alte Bäume entwurzelt worden waren. Aidan hoffte nur, dass ihr Glück sie auch dieses Mal nicht im Stich lassen würde.
„Machst du dir Sorgen wegen des Sturms?“, fragte Liam.
„Ein wenig. Die Wettervorhersage behauptet zwar, dass er auch dieses Mal an uns vorbeiziehen und North Carolina treffen wird. Aber meine Knochen sagen was anderes.“
Liam nickte und sah nach oben. „Ich hasse es, wenn meine Hoffnung auf Rettung die Katastrophe für andere Menschen bedeuten könnte.“
„Das tut es ja nicht. Dein Wunsch beeinflusst den Hurrikan nicht, glaube mir. Und es ist wohl nur menschlich zu hoffen, dass man verschont wird.“
Aidan ließ die Wasserflasche auf den Rasen fallen und bedachte Liam wieder mit einem strengen Blick. „Aber zurück zum Thema. Wo bleibt dein Rat, Liam? Du bist schließlich Pfarrer, Himmel noch mal. Also sag schon etwas Bedeutungsvolles.“
Liam lachte leise, drehte sich auf dem Absatz um, sprang hoch und warf den Ball präzise in die Mitte des Korbs. Zufrieden holte er den Ball zurück und warf ihn seinem Bruder zu. „Was für einen Rat hättest du denn gern, Aidan?“
„Etwas Tröstendes, verdammt noch mal.“
Liam lachte wieder. „Seit wann brauchst du denn Trost, wenn es um Frauen geht, Brüderlein?“
Noch mehr konnte er sich schon nicht mehr erniedrigen, fand Aidan, also gab er sich einen Ruck. „Seit ein paar Tagen, okay?“ Hatte er nicht gerade eben eine ganze Stunde lang versucht, seinem Bruder alles zu erklären? Liam schien heute besonders schwer von Begriff zu sein.
„Donnas Freundin Sally geht dir also unter die Haut.“
„Das habe ich nicht gesagt.“
„Doch, natürlich.“
Auf keinen Fall. Aidan hatte peinlich darauf geachtet, gerade das nicht zu erzählen. Aber offenbar war Liam doch geschickter darin, seine Brüder zu durchschauen, als sie alle geglaubt hatten.
„Was soll ich sagen, Aidan?“
„Ich weiß nicht. Du bist der Pfarrer. Lass dir was einfallen.“
Liam lachte nur und warf ihm den Ball zu.
Aidan hatte die ganze Nacht an Sally denken müssen – und an den Kuss und daran, wie sie ihn im Mondlicht angesehen hatte mit diesem verflixten Ausdruck in den Augen, der ihm so an die Nieren ging. Und die ganze Nacht über hätte er sich ohrfeigen können, dass er nicht bei ihr geblieben war und herausgefunden hatte, was es war, das ihr so zu schaffen machte.
Es passte überhaupt nicht zu ihm, sich um eine Frau so viele Gedanken zu machen. Deshalb war er am nächsten Morgen ganz früh zur Kirche gefahren, um sich vom Familienpfarrer bemitleiden zu lassen. Aber bis jetzt hatte sich sein Besuch nicht besonders gelohnt, zudem war er auch noch beim Pokern besiegt worden.
Liam ließ sich endlich doch noch dazu herab, seinem Bruder eine Antwort zu geben. „Aidan, du bist einfach nur schockiert, weil du dich noch nie so sehr für eine Frau interessiert hast. Jedenfalls nicht auf diese Weise und über das Bett hinaus.“
Aidan sah ihn stirnrunzelnd an. „Das ist alles? Mehr hast du nicht dazu zu sagen? Wird dir das auf dem Priesterseminar beigebracht?“
„Du bist gar nicht wütend auf mich“, warf Liam ein und trank einen Schluck aus seiner Wasserflasche.
„Ach ja? Für mich fühlt sich das aber ganz anders an.“
„Du bist auf dich selbst wütend.“
„Und wegen dieser genialen Worte bin ich so früh aus dem Bett gefallen.“ Er warf Liam den Ball zurück und bückte sich, um sein T-Shirt aufzuheben und es sich über den Kopf zu ziehen.
„Willst du gar nicht wissen, warum du so wütend auf dich bist?“
„Warum erleuchtest du mich nicht?“
„Sie
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