JULIA COLLECTION Band 16
dürfen.
„Verdammt!“ Sally drehte wieder den Zündschlüssel herum und hörte entsetzt dem kläglichen Winseln des Motors zu. Wieder nichts.
Sie schlug mit der Faust auf das Armaturenbrett, packte das Steuer mit beiden Händen und drückte es fest, um sich stattdessen nicht das Haar zu raufen. „Ich glaube es nicht“, flüsterte sie und sah erschrocken, wie viel aufgewühlter das Meer plötzlich aussah. Sie strich sich das Haar aus der Stirn und schaute angestrengt in die Richtung von Baywater. Sie konnte kein Land ausmachen, und plötzlich hatte sie ein flaues Gefühl im Magen und hoffte nur, dass das Boot sie nicht völlig im Stich lassen oder womöglich sinken würde. Das verflixte Ding hatte es geschafft, ein paar Meilen aufs Meer hinauszugelangen, bevor der Motor plötzlich zu stottern begann und dann komplett seinen Dienst versagte. Jetzt konnte sie nur beten, dass der Rumpf in besserem Zustand war als der Motor.
„Was hast du dir nur dabei gedacht?“ Gute Frage, aber sie hatte keine einleuchtende Antwort darauf.
Sie hatte fast die ganze Nacht wach gelegen und versucht zu schlafen, aber kaum hatte sie die Augen geschlossen, da erschien Aidan Reilly vor ihrem inneren Auge und weckte wieder dieselben aufregenden Gefühle in ihr wie in dem Moment, als sie sich auf seinem Motorrad an seinen starken, warmen Körper gepresst hatte.
Es war so lange her, seit sie ein solches Kribbeln verspürt hatte und eine solch erregende Vorfreude auf etwas, das ein wundervolles Abenteuer zu werden versprach. Sie hatte geglaubt, dass sie über die Sehnsucht nach solchen Gefühlen hinweg war, aber jetzt hatte Aidan sie wieder in ihr erweckt. Sie wollte deswegen gerne fürchterlich sauer auf ihn sein, tief im Innersten aber war sie ihm dankbar.
Und dann war da noch dieser unglaubliche Kuss. Sie schloss die Augen und erlebte ihn noch einmal in ihrer Erinnerung. Was für ein erstaunlicher, umwerfender, ergreifender Kuss! Mit jeder Faser ihres Körpers hatte Sally auf ihn reagiert. Aidan hatte etwas in ihr wachgerufen, das sogar noch faszinierender war als die Suche nach einem Abenteuer. Aidan Reilly hatte sie daran erinnert, wie lange es doch her war, dass sie überhaupt etwas empfunden hatte.
Sally öffnete wieder die Augen und seufzte, als sie trotz aufmerksamen Suchens kein anderes Boot in ihrer Nähe entdecken konnte. Sie war allein. Es gab niemanden, den sie um Hilfe rufen konnte. Und an allem war Aidan Reilly schuld.
Kurz vor Morgengrauen hatte Sally jeden Versuch, doch noch einzuschlafen, aufgegeben und sich überlegt, sie könnte sich wieder ein wenig beruhigen, wenn sie aufstand und irgendetwas unternahm. Sie war zum Hafen hinuntergeschlendert, hatte einen Bootsverleih gefunden und impulsiv beschlossen, ein paar Stunden über das Meer zu tuckern.
Mehr hatte sie doch gar nicht gewollt. Sie wollte sich nur die Meeresluft um die Nase wehen lassen, das Salz auf der Haut spüren und das Gefühl haben, frei und sorglos zu sein.
„Was leichter wäre, wenn das blöde Boot nicht den Geist aufgegeben hätte“, sagte sie leise vor sich hin. Sie stellte das Radio an, griff nach dem Mikrophon und rief: „Mayday, mayday.“ Sie ließ den Knopf los und lauschte. Nichts. Nicht einmal statische Störungen. Sie suchte nach anderen Sendern und drehte dabei verzweifelt an den Knöpfen, aber nichts passierte.
Warum überraschte sie das überhaupt? Wenn der Motor kaputt war, warum sollte dann das Radio funktionieren? Sie war so ein Idiot. Warum hatte sie vor dem Ausfahren nicht das Boot kontrollieren lassen? Warum war sie so vertrauensvoll gewesen?
Dann erinnerte sie sich an ihr Handy. Sie ließ das Radio Radio sein und fing an, in ihrer braunen Ledertasche nach ihrem kleinen Handy zu wühlen. Als sie endlich fündig wurde, tat sie das Einzige, was ihr in dieser Situation übrig blieb, und wählte den Notruf.
„911. Beschreiben Sie uns genau Ihre Notlage.“
Gott, wie wundervoll es doch war, eine menschliche Stimme zu hören. „Hallo. Ich heiße Sally Evans. Ich sitze auf dem Meer fest, einige Meilen vor Baywater. Der Motor meines Boots rührt sich nicht mehr, und das Meer“, sie warf einen Blick auf die schäumenden Wellen und spürte den heftigen Wind, „wird allmählich ungemütlich.“
„Wie heißt das Boot?“
„Nasse Nudel“, antwortete Sally verlegen. „Wenn Sie nur die Küstenwache für mich anrufen könnten …“
„Es gibt in unserer Nähe keine Küstenwache, Ma’am“, sagte die Telefonistin, ohne
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