JULIA COLLECTION Band 17
begegnet, und jedes Mal war sie kühl und beherrscht gewesen.
Und jetzt innerhalb eines Tages – innerhalb einer Stunde – hatte er in ihren Augen Tränen und in ihrem Gesicht tiefen Schmerz gesehen.
Brad stieß einen stummen Fluch aus. Er wusste, dass er dabei war, den schwersten Fehler von allen zu begehen. „Na gut“, willigte er ein, klang aber alles andere als großzügig. „Wir reisen morgen früh ab. Maria, meine Sekretärin, wird dich anrufen und dir sagen, wann.“
Ihre Augen leuchteten wieder. Und sie sah ihn an, als hätte er gerade ein Kätzchen vor einer Klapperschlange gerettet.
„Danke“, flüsterte sie.
Er schlug sich mit den Prospekten gegen die Handfläche. „Sei pünktlich. Und pack keine zwölf Koffer, Prinzessin. Wir fliegen nach Boston, um zu arbeiten. Nicht, damit du wie eine zweibeinige Modenschau umherflanieren kannst.“
Ihre Miene veränderte sich. Wütend öffnete sie den Mund.
Aber er war schon auf dem Weg nach draußen. Mit ihrem Zorn konnte er umgehen. Mit ihren Tränen nicht.
3. KAPITEL
Sie war spät dran.
Brad würde gleich kommen, und Kate war noch nicht mal mit dem Packen fertig.
Aber wo war sie? In ihrem Zimmer, beim Packen?
Nein.
Sie stand im Schlafzimmer ihres Vaters und wehrte sich gegen den Wunsch, einfach davonzugehen. Es war dunkel. Die schweren Vorhänge verhinderten, dass das Licht der Morgensonne hereindrang.
Kate nickte dem Pfleger zu und setzte sich an Caine Stockwells Bett. Er war erst sechzig, sah jedoch viel älter aus. Seine Augen waren geschlossen. Als sie zaghaft seine Hand berührte, wandte er den Kopf und sah sie an. „Guten Morgen, Daddy.“
Sie wusste nicht, ob er sie noch erkannte.
„Gunderson?“ Sie warf dem Pfleger einen Blick zu. „Wenn es Ihnen nichts ausmacht, würde ich gern einen Moment mit meinem Vater allein sein.“
Der Mann nickte und ging hinaus.
Kate wandte sich wieder ihrem Vater zu. „Ich fliege heute Morgen nach Boston“, erzählte sie ihm. „Mit Brad Larson.“
Sie sah, wie seine Lippen sich zu einem Ausdruck stummer Verachtung verzogen. Caine hatte Brad immer wie jemanden behandelt, der nicht würdig war, auch nur einen Fuß auf das Anwesen der Stockwells zu setzen. Als Kate im Alter von zwanzig Jahren verkündete, dass sie Brad heiraten wollte, war er wie von Sinnen gewesen.
Jetzt schluckte sie und nahm ihren ganzen Mut zusammen. „Wir wollen Madelyn finden“, fuhr sie fort, und Caine begann zu blinzeln. Irgendwann hatte Kate sich geschworen, nie wieder zu weinen, doch in den letzten vierundzwanzig Stunden hatte sie mehr Tränen vergossen als in den vergangenen Jahren zusammen. Ihre Augen brannten schon wieder. Sie hatte immer Angst vor ihrem Vater gehabt. In diesem Moment empfand sie Mitleid und eine Mischung aus Gefühlen, die sie nicht beschreiben konnte.
„Wir haben einander enttäuscht, Dad. Du und ich, wir beide. Aber ich …“
Unter ihrer Hand krümmten sich seine Finger. „Madelyn? Du bist zu mir zurückgekehrt.“
Kate biss sich auf die Lippe und ließ den Kopf auf die verschränkten Hände sinken. Es war nicht das erste Mal, dass Caine sie für ihre Mutter hielt. Als sie ein Geräusch hörte, drehte sie sich um. Gunderson war wieder da. Offenbar hatte er beschlossen, dass die Besuchszeit vorüber war. Sie sah ihren Vater an. „Ich wollte dir nur mitteilen, was ich vorhabe.“
„Geh.“ Es war ein Befehl, auch wenn er das Wort seufzte.
Traurig stand sie auf und ging zur Tür. Dort blieb sie stehen und drehte sich noch ein letztes Mal zu ihm um. Sie holte tief Luft, trat wieder an Caines Bett und zog die Decke über seine schmal gewordene Brust. Dann gab sie ihm einen Kuss auf die Wange.
„Auf Wiedersehen, Daddy. Ich liebe dich.“
Plötzlich wurde ihr bewusst, dass sie auf eine Antwort wartete, die sie nie bekommen würde. Nicht mal dann, wenn er körperlich dazu fähig gewesen wäre. Dann erst recht nicht.
Kate straffte sich und verließ das stickige Krankenzimmer. Auf dem Korridor kam ihr Mrs. Hightower entgegen.
„Ein Anruf für Sie“, sagte die Haushälterin, reichte ihr den Hörer und ging geräuschlos davon.
Seufzend sah Kate auf die Uhr. Brad würde jede Minute eintreffen, und da sie schon mehrmals mit ihrer Partnerin und Mitarbeitern telefoniert hatte, musste sie noch zu Ende packen.
Sie eilte in ihr Schlafzimmer. „Kate Stockwell“, meldete sie sich. Als sie die Stimme von Bobby Morales’ Vater hörte, wusste sie, dass die Reisetasche, die offen und leer auf dem
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