JULIA COLLECTION Band 20
eher noch anziehender. Seltsam, dachte Kell, wie sehr diese Frau mich fasziniert. Sonst mag ich eher gestylte Frauen, und diese hier ist das genaue Gegenteil.
„Wenn ein Stück der Dachrinne so weit herabhängt, dass es gegen die Hauswand schlägt, dann kann ich es vielleicht zu fassen kriegen und abreißen.“ Ihm war klar, dass Daisy sich wünschte, er würde bald gehen. Doch je länger er hier war, desto länger wollte er bleiben. „Soll ich mich nicht mal darum kümmern?“ Er schirmte die Augen gegen die tief stehende Sonne ab und blickte zu der herabbaumelnden Rinne hinauf. Vielleicht sollte er ganz allgemein seine Hilfe anbieten. Er konnte alles annageln, was lose war, und den Rest konnte er absägen. So etwas ist Männerarbeit, sagte er sich und straffte unbewusst die Schultern.
Als ihm klar wurde, dass er vielleicht nicht nur deshalb länger hierbleiben wollte, um seinen Familienstammbaum zu ergründen, verdrängte er den Gedanken schnell wieder. Nein, nein, diese Lady war zwar interessant, aber nicht sein Stil.
„Ja, das muss auf jeden Fall runter“, sagte er nachdenklich, während Daisy Schulter an Schulter neben ihm zum Dach hinaufsah. „Zum Glück hat die Rinne nicht das Buntglasfenster dort eingeschlagen.“
Daisy nickte nur und wandte sich der Hintertür zu, wo Faylene bereits mit einem Korb voller Werkzeug wartete. „Ich hab ja bereits gesagt, dass das Ding nicht oben bleibt, wenn der Wind dreht.“
Kell griff nach dem Korb, aber Daisy war schneller.
„Soll ich euch helfen, die Leiter rauszuholen?“, bot Faylene an.
„Wo ist die denn? Das erledige ich.“ Fast hätte Kell die Muskeln angespannt, um zu demonstrieren, wie geeignet er für diese Arbeit war.
„Ich weiß genau, dass ich Sie vor ein paar Jahren gesehen habe.“ Nachdenklich legte Faylene einen Finger an die Lippen. „Waren Sie einer der Junggesellen, die im Fernsehen versteigert wurden?“
Lächelnd schüttelte er den Kopf. „Nein, Madam. Bei so was würde ich nie mitmachen, Miss Beasley.“ Bevor die Haushälterin weiter darüber nachdenken konnte, wo sie ihn schon mal gesehen hatte, wandte Kell sich ab und wollte losgehen. Doch dann zögerte er.
„Ich habe mich schon gefragt, woher Sie wissen wollen, wo Sie jetzt hinmüssen“, warf Daisy spöttisch ein. „Der Schuppen steht hinter dem Haus. Die Leiter hängt draußen an der Seitenwand. Jedenfalls hing sie bis zum Hurrikan dort. Mittlerweile könnte sie auch im nächsten Bundesstaat liegen.“
„Kein Problem. Ich bin auf dem Weg hierher an einem Werkzeugladen vorbeigekommen.“
„Sie werden jetzt doch nicht losfahren und eine Leiter kaufen.“
Das klang sehr danach, als wolle sie um jeden Preis vermeiden, ihm irgendetwas schuldig zu sein. Kluge Frau, dachte Kell und folgte ihr zum Schuppen.
„Da haben wir ja die Leiter.“ Sie klang erleichtert. „Nehmen Sie das eine Ende, ich nehme das andere.“
„Es ist bestimmt einfacher, wenn ich sie auf der Schulter balanciere.“ Er rechnete schon damit, dass Daisy wieder argumentieren würde, doch sie wandte sich nur schweigend um und ging vor ihm zurück zum Haus. Dadurch bekam Kell einen perfekten Blick auf ihren kleinen festen Po. Im Schwesternkittel wirkte sie vielleicht unnahbar, aber in den zerknitterten Shorts, dem T-Shirt und den schmutzigen Leinenschuhen sah sie einfach nur …
Jedenfalls sah sie nicht unnahbar aus.
Kell steckte sich ein paar Werkzeuge in den Gürtel und atmete noch einmal tief durch, bevor er die Leiter hochkletterte.
Auf der drittletzten Stufe richtete er sich auf und verlagerte das Gewicht vorsichtig hin und her, um zu sehen, ob die Leiter noch tiefer im Gras einsackte. Direkt vor sich hatte er das Buntglasfenster. „Eigentlich ist es ein sehr hübsches Haus!“, rief er nach unten. „Und auch ziemlich hoch.“
Mit einer zerbrochenen Dachschindel, die sie aufgehoben hatte, schirmte Daisy die Augen ab und blickte nach oben. „Seien Sie vorsichtig.“
„Das bin ich immer.“ Nur nicht nach unten gucken, sagte er sich. Eigentlich litt er unter Höhenangst. Lediglich im Flugzeug machte ihm die Höhe nichts aus. Normalerweise flog er erste Klasse, saß am Gang und trank einen Whisky, um seine Nerven zu beruhigen.
Nun hielt Daisy mit beiden Händen die Leiter fest, während Kell die letzte Schraube löste, mit der die Dachrinne noch befestigt war. Gerade als er Daisy eine Warnung zurief, fiel die kupferne Rinne auch schon nach unten.
„Au!“
Kell drehte sich um, um zu sehen,
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