Julia Collection Band 21
selbst dann musst du immer auf ihr Kind aufpassen.“
Die Erinnerung an das vernichtende Urteil schmerzte noch immer, doch sie betrachtete es als gerechtfertigte Kritik. Sie hätte schon viel früher für sich selber sorgen müssen und hatte die Gastfreundschaft ihrer Tante über Gebühr strapaziert. Es erschreckte sie, dass ihre Tante ihr zuliebe zu einem solchen Opfer bereit war. Für Tabby stand fest, dass sie so schnell wie möglich fortmusste. Erst dann würde ihre Tante wieder frei über ihr Leben und ihr Heim verfügen können.
„Ich begreife noch immer nicht, warum eine alte Französin dich in ihrem Testament bedacht hat“, meinte Alison kopfschüttelnd.
Tabby kehrte jäh in die Gegenwart zurück. Versonnen schob sie sich eine Haarsträhne hinters Ohr. Manche Dinge waren zu persönlich, als dass sie sie sogar mit ihrer Tante hätte teilen können. „Solange und ich haben uns gut verstanden.“
„Aber ihr seid euch doch nur ein paar Mal begegnet …“
„Was sie mir vermacht hat, ist bloß ein winziger Teil ihres Besitzes. Sie war sehr reich“, erwiderte Tabby ausweichend. „Ich bin außer mir vor Freude über das Cottage, aber in ihren Augen war es wohl eher eine kleine Aufmerksamkeit.“
Insgeheim musste sie zugeben, dass sie bei jedem Treffen mit Solange Roussel emotional sehr aufgewühlt gewesen war. Beim ersten Mal hatte sie vor Glück gestrahlt und freimütig eingeräumt, dass sie Christien anbetete. Beim zweiten Mal war sie sich seiner nicht mehr ganz so sicher gewesen und hatte gefürchtet, er könnte das Interesse an ihr verlieren. Und beim dritten und letzten Mal?
Monate, nachdem der unselige Frankreichurlaub so viele Leben zerstört hatte, war Tabby allein nach Frankreich gereist, um der Unfalluntersuchung beizuwohnen. Sie hatte darauf gebrannt, Christien wiederzusehen. Sie hatte gehofft, seine Verbitterung möge sich inzwischen gelegt haben und er wäre zu der Erkenntnis gelangt, dass sie beide ihre geliebten Väter bei dem schrecklichen Zusammenstoß verloren hatten. Allerdings hatte sie ihren Fehler schnell einsehen müssen, denn die Monate hatten Christien eher noch kälter und verächtlicher gemacht. Selbst Veronique, die ihr gegenüber einst so freundlich gewesen war, zeigte sich nun abweisend und feindselig. Als Gerry Burnsides Tochter war sie für jeden eine Aussätzige, der einen Verwandten verloren hatte oder irgendwie bei dem Unglück verletzt worden war.
Am Tag der Untersuchung war Tabby endlich erwachsen geworden, und diese Erfahrung war fast genauso grausam und umwälzend wie der Schock nach dem Unfall. Obwohl die vorangegangenen Monate einen albtraumhaften Kampf für Tabby bedeutet hatten und sie sich sogar von ihrer Tante hatte Geld leihen müssen, um nach Frankreich zurückzukehren, hatte sie in ihrer Naivität davon geträumt, wie Christien auf die Nachricht reagieren würde, dass er Vater eines kleinen Sohnes war.
Am Tag der Anhörung waren jedoch ihre Träume zerbrochen. Am Ende hatte sie Christien nicht einmal sagen können, dass sie ihm einen Sohn geschenkt hatte. Er hatte sich schlichtweg geweigert, mit ihr unter vier Augen zu sprechen, und sie hatte es ihm nicht vor großem Publikum gestehen wollen. Zutiefst erschüttert über die schroffe Zurückweisung, war sie nach draußen geflohen, um nicht vor ihm, seinen Verwandten und Freunden in Tränen auszubrechen. Auf der Straße hatte sich eine Hand tröstend auf ihre gelegt, und Tabby war dem mitfühlenden Blick von Solange Roussel begegnet.
„Es tut mir leid, dass die Familie zwischen Sie und Christien getreten ist.“ Die ältere Frau seufzte bedauernd. „Das hätte nicht passieren dürfen.“
Bevor Tabby etwas erwidern konnte, war Solange im Gerichtsgebäude verschwunden. Christiens Großtante hatte offenbar befürchtet, bei Sympathiebekundungen für die Tochter des betrunkenen Fahrers ertappt zu werden.
„Du beabsichtigst doch, das Grundstück zu verkaufen, oder?“, fragte Alison drängend.
Tabby atmete tief durch. „Nein. Ich möchte es gern behalten …“
„Aber das Cottage befindet sich doch auf Christien Laroches bretonischem Besitz“, wandte ihre Tante stirnrunzelnd ein.
„Solange sagte, dass Christien nur selten nach Duvernay komme, weil er lieber in der Stadt als auf dem Land lebt. Sie hat mir außerdem erzählt, dass das Anwesen riesig sei und ihr kleines Haus direkt am Rand liege. Wenn ich es wie geplant behalte, wird er nicht einmal merken, dass ich dort bin.“
„Bist du sicher,
Weitere Kostenlose Bücher