Julia Collection Band 21
unterscheiden würde. Aber in diesem besonderen Sommer war alles schiefgegangen, was nur hatte schiefgehen können. Es war eine für alle Beteiligten schreckliche Zeit gewesen, doch niemand hatte den Mut gehabt, es laut auszusprechen, und so hatten die Spannungen fast sechs Wochen angedauert.
Kurz nach ihrer Ankunft in Frankreich hatte ihre damals beste Freundin Tabby einen heftigen Flirt mit einem Franzosen aus der Gegend begonnen und in ihrer Verliebtheit Pippas Existenz während des restlichen Aufenthaltes kaum noch wahrgenommen. Während dieser Wochen war Pippas Herz gebrochen und ihr Selbstvertrauen endgültig untergraben worden, ohne dass die anderen etwas bemerkt hätten.
Doch das entscheidende, alles auf den Kopf stellende Ereignis jener fatalen Ferien war der furchtbare Autounfall, durch den Pippas Mutter ums Leben gekommen und ihr Vater im Rollstuhl gelandet war. Tabbys Vater, Gerry Burnside, hatte sich betrunken ans Steuer gesetzt und das Unglück verursacht, bei dem die Leben all seiner Freunde ruiniert worden waren. Pippa hatte ihrer Mutter stets näher gestanden als ihrem strengen, anspruchsvollen Vater, und sie war über den plötzlichen Tod ihrer Mutter völlig verzweifelt gewesen. Vor dem Unfall hatte ihr Vater Naturwissenschaften unterrichtet und viel Sport getrieben, er hatte sich mit seiner Behinderung nie abgefunden.
Hinzu kam, dass Martin Stevenson als junger Mann davon geträumt hatte, Arzt zu werden, doch leider war er bei den Prüfungen knapp gescheitert. Schon in Pippas Geburtsstunde hatte ihr Vater beschlossen, dass seine Tochter seinen Traum verwirklichen und Ärztin werden sollte. Von klein auf war sie zu schulischen Höchstleistungen angespornt worden. Doch durch die Folgen des grauenhaften Autounfalls, der auch das Leben von Tabbys Vater, Hillarys Eltern und Jens sowie Pippas Müttern gefordert hatte, war Pippa so traumatisiert, dass sie ihrem Vater mitteilte, eine Karriere in der Medizin sei ihr zuwider.
Die bittere und unerschütterliche Enttäuschung ihres Vaters war fast mehr gewesen, als Pippas Gewissen ertragen konnte, und seine Sticheleien hatten ihr das Leben schwer gemacht. Trotzdem hatte sie ihn fast sechs Jahre lang allein gepflegt. Aber sosehr sie sich auch angestrengt hatte, ihn mit guten Noten in den Wirtschaftskursen zu besänftigen, die sie belegt hatte, und trotz der liebevollen Fürsorge, mit der sie ihn zu Hause umhegte, hatte er ihr nie verziehen, dass sie die Chance, Ärztin zu werden, ausgeschlagen hatte.
Wenn sie daran dachte, wie sehr sie früher Frankreich geliebt hatte, konnte sie kaum fassen, dass sie das Geburtsland ihrer Mutter nach deren Tod nicht mehr besucht hatte. Sie war sogar Tabbys Hochzeit unter einem Vorwand fern geblieben. Glücklicherweise brachte Tabbys Mann Christien seine Frau regelmäßig nach London, sodass Pippa den Kontakt mit ihrer Freundin hatte aufrechterhalten können. War es nicht höchste Zeit, dass sie endlich den Tod ihrer Mutter verarbeitete und Tabby und Christien auf Duvernay besuchte, dem herrlichen Familiensitz in der Bretagne? Wie oft hatte ihre Freundin sie schon eingeladen? Pippas Gewissen regte sich. Sollte sie nicht wenigstens einen Teil des ihr aufgezwungenen Urlaubs bei Tabby in Frankreich verleben?
„O nein, heute ist der Tag, an dem du schon mittags schließt – das habe ich völlig vergessen.“ Pippa stöhnte bedauernd, als Hillary sie an der Tür zu ihrem winzigen Apartment empfing und über den Flur in den Frisiersalon begleitete, der leer und still war. „Warum hast du mich nicht daran erinnert?“
Hillary war klein und zierlich, mit großen grauen Augen und stacheligem blondem Haar, dessen leicht bläulicher Schimmer perfekt zu ihrem T-Shirt passte. Obwohl sie nur ein Jahr jünger war als Pippa, wirkte sie keinen Tag älter als achtzehn. Sie lächelte. „Machst du Witze? Sehe ich so geduldig aus? Du hast endlich eine Verabredung, und ich will wissen, wer der Glückliche ist.“
„Es gibt keinen Glücklichen. Heute Abend findet die große Party für den neuen Geschäftsführer statt.“
„Aber du hast am Telefon so atemlos geklungen, dass ich dachte, du wärst aufgeregt …“
„Nicht aufgeregt, sondern durcheinander“, erwiderte Pippa gereizt. „Ich hatte Ärger im Job und bin auf die Nase gefallen.“
„Was, um alles in der Welt …?“
„Ich habe den Job nicht bekommen“, flüsterte sie mit tränenerstickter Stimme, und dann brach die ganze traurige Geschichte aus ihr heraus.
Hillary
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