Julia Collection Band 26
Beerdigung seines Vaters, als Reid zu Besuch gekommen war.
Sie hatte gleich bei seiner Ankunft bemerkt, wie abwesend und traurig er wirkte. Sie war davon ausgegangen, dass es mit seinem Kummer zusammenhing, daher hatte es ihr auch nichts ausgemacht, als er sie nicht wie sonst an sich zog und küsste.
In der Vergangenheit war ihre Leidenschaft so groß gewesen, dass sie oft direkt in ihr Schlafzimmer gestürzt waren. Später waren sie dann noch in den Pub gegangen, oder sie hatten gemeinsam zu Abend gegessen. Dabei hatten sie sich erzählt, was in der Woche passiert war, hatten miteinander gelacht und sich geküsst. Sie waren glücklich gewesen in dem Wissen, dass eine lange Nacht voller Liebe auf sie wartete.
An diesem besonderen Freitagabend hatte Sarah versucht, Reid aus seiner düsteren Stimmung zu reißen, indem sie ihm die amüsantesten Anekdoten und den interessantesten Klatsch erzählte, der ihr einfiel. Währenddessen hatte sie das Abendessen vorbereitet. Aber er hatte nur auf dem Schemel in der Küche gehockt, durchs Fenster geschaut und kaum eine Reaktion auf ihre Geschichten gezeigt.
Als das Essen schließlich im Ofen stand, war Sarah auf ihn zugegangen, hatte die Arme um ihn gelegt und ihn leicht auf den Mund geküsst. Zum allerersten Mal hatte er ihren Kuss nicht erwidert.
Verwirrt und mehr als erschrocken, hatte sie sich zurückgezogen, um ihm in die Augen zu sehen. Und was sie sah, erschreckte sie noch mehr. Die Wärme war fort. Es war, als wäre der Reid, den sie kannte, verschwunden und hätte einem Außerirdischen Platz gemacht.
„Was ist los? Irgendetwas Schlimmes ist passiert, oder? Was ist es?“
Reid holte tief Atem. Dann schloss er die Augen, als ob er nicht ertragen könnte, sie anzuschauen. „Alles.“
„Alles?“ Jetzt hatte Sarah wirklich Angst. Sie bestürmte ihn mit Fragen. „Was meinst du damit? Bist du krank? Bist du in Schwierigkeiten? Ich weiß, du trauerst um …“
Er sprang auf und entfernte sich von ihr. Kurz vor der Tür drehte er sich um, stemmte die Hände in die Hüften und kniff die Augen zusammen. Sein Blick hatte etwas Grausames. „Sarah, ich weiß, es ist hart, aber ich muss dich bitten, mich in Ruhe zu lassen. Ich brauche mehr Raum.“
Was Reid sagte, ergab überhaupt keinen Sinn. Wie konnte ein Mann, der immer so rücksichtsvoll und aufmerksam gewesen war, sich plötzlich so egoistisch verhalten? Wieso ging mit einem Mal alles schief? Mit Sicherheit hatte sie doch wenigstens eine Erklärung verdient, oder?
Aber die Erklärung war nicht gekommen, weder damals noch in den Jahren danach. An jenem Abend war Reid gegangen, ohne zum Essen zu bleiben. Über einen Monat lang war er völlig aus ihrem Gesichtskreis verschwunden. Danach hatte er sich neu erfunden, als ihr Freund, als ein großer Bruder – als der Junge von nebenan, sozusagen. Und sie war so dumm gewesen, sich mit den kleinen Zeichen seiner Zuneigung zufriedenzugeben.
Sie war geblieben, weil ihre Liebe zu ihm so tief war. Sie hatte gar keine andere Wahl, sie musste ihn einfach lieben – und wenn es aus der Entfernung war.
„Ich wüsste gern, was du denkst.“
Seine Stimme erschreckte sie, holte sie aus der Vergangenheit in die Gegenwart zurück, zum Feuer, zu den dunklen Büschen und zum Wind, der durch die Baumwipfel fuhr. Reid saß halb im Schatten, halb im Lichtschein des Feuers. Aber Sarah merkte, dass er sie aufmerksam beobachtete.
„Ich habe über dich nachgedacht, Reid.“
Mit finsterer Miene streckte er den Fuß aus und trat gegen ein brennendes Scheit.
„Ich habe über all die Fragen nachgedacht, die ich dir schon vor Jahren hätte stellen müssen.“
Trotz des Dämmerlichts bemerkte sie seine plötzliche Anspannung. Er stand schnell auf und ging zum Wagen. Dann kehrte er mit ein paar Sandwiches zurück. „Zeit zum Essen“, sagte er.
So würde es immer sein. Er wich ihr aus, wie schon so oft.
Sarah weigerte sich, das Sandwich, das er ihr reichte, entgegenzunehmen. „Ich bin nicht hungrig.“
„Du wirst deine Kraft brauchen, wenn wir morgen früh die Suche zu Fuß fortsetzen.“
Seine totale Unfähigkeit, zu erraten, was in ihr vorging, ließ ihren Geduldsfaden endgültig reißen. „Ich brauche meine Kraft, um deine Gesellschaft die ganze Nacht zu ertragen“, fuhr sie ihn an. „Aber essen wird mir dabei nicht helfen. Im Gegenteil, wahrscheinlich würde mir übel werden.“
Bestürzt registrierte sie, dass Reid nicht protestierte. Er nickte nur langsam. „Ich kann es
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