Julia Collection Band 26
sagte Tim, „dass ich schon aufbrechen muss, aber wenigstens bist du bei Kane in guten Händen.“ Ein vieldeutiges Lächeln umspielte seinen Mund. „Der Mann ist Legende.“
Kane räusperte sich. „Mach dir wegen deiner Schwester keine Gedanken. Sie ist zwar erst vor wenigen Tagen angekommen, hat bisher aber noch jede Herausforderung mit wehenden Fahnen bestanden.“
„Aber sicher doch“, meinte Tim sichtlich stolz. „So was wie meine Schwester findet man nicht oft.“
Die beiden Männer standen einander gegenüber, sahen sich unverwandt an, und sekundenlang schienen sie eine unausgesprochene Botschaft auszutauschen.
Charity ertrug diese Spannung nicht. „Verschwende keinen Gedanken an mich“, sagte sie zu Tim und umarmte ihn voll Zuneigung. „Pass gut auf dich auf. Und bei der ersten Gelegenheit rufst du Vater an.“
„Ja, versprochen, und du hörst auf, dich zu sorgen, Schwesterchen.“ Er küsste sie auf die Wange und drückte sie noch einmal so fest an sich, wie er das als hilfloser kleiner Junge immer getan hatte.
„Ich werde erst wieder frei atmen können“, sagte sie, „wenn alles vorbei ist und du ungestört weiterleben kannst.“
Charity blieb am Höhleneingang stehen, während Kane mit Tim zu dem im Tal festgebundenen Pferd hinunterstieg. Dabei wich allmählich die angestaute Energie von ihr.
Das war es. Sie hatte ihr Ziel erreicht und ihre Aufgabe erfüllt. Sie hatte Tim gefunden, und die Ironie an der Geschichte war, dass er eigentlich gar nicht gefunden werden wollte.
Die große Schwester war tapfer ans andere Ende der Welt gereist und hatte Bürokratie, Wildnis und sogar verschwiegene Viehzüchter im Outback überwunden. Und was hatte sie letztlich herausgefunden? Dass sie sich das alles hätte sparen können, weil sie nicht gebraucht wurde.
Nun musste sie noch eine Nacht in einer Höhle irgendwo in der Wildnis mit einem Mann verbringen, den sie vom ersten Moment an begehrenswert gefunden hatte.
Marsha wäre grün vor Neid geworden, hätte sie gewusst, dass sie und Kane hier draußen allein waren. Es war ein schlechter Witz! Als ob Charity Denham, die brave Tochter des hoch geschätzten Geistlichen von St. Alban in Hollydean, eine wilde Nacht voll heißer Leidenschaft mit einem der aufregendsten Männer der Welt verbringen würde!
Plötzlich liefen ihr die Tränen, die sie vor Tim zurückgehalten hatte, über die Wangen. Das war sicher nur die durchaus verständliche Reaktion darauf, dass sie sich so kurz nach dem Wiedersehen schon wieder von ihrem Bruder trennen musste. Dabei war sie sicher gewesen, alles würde in Ordnung kommen, sobald sie Tim gefunden hätte. Doch nichts war in Ordnung.
Trotzdem waren Tränen einfach lächerlich. Kane sollte sie bei der Rückkehr nicht halb aufgelöst vorfinden.
Mit dem Hemdsärmel wischte sie sich übers Gesicht und atmete tief durch, um sich wieder zu beruhigen. Sie war müde von der langen Wanderung in der Hitze. Die Füße taten ihr weh. Bestimmt hatte sie sich Blasen geholt. Darum zog sie die Stiefel aus und sah sich den Schaden an. Zum Glück war es nicht allzu schlimm. Sie hatte lediglich zwei kleine Blasen an den Fersen.
Am Höhleneingang hatte sich in einer Bodensenke Wasser gesammelt. Charity setzte sich am Rand des Teichs auf einen von der Sonne erwärmten Felsen, ließ die Füße ins Wasser hängen und sah sich aufmerksam um.
Tims Höhle machte einen überraschend behaglichen Eindruck. Zweifellos wären Immobilienmakler der Steinzeit von den Vorzügen begeistert gewesen – hübsche Lehmwände, hohe Decken und ein weicher Boden aus weißem Sand, dazu der von Farnen gesäumte Teich gleich neben der Haustür und ein herrlicher Ausblick über das Star Valley. Was für eine urzeitliche Immobilie!
Eine große Metalltruhe in der Höhle enthielt Vorräte an Konservendosen und getrockneten Lebensmitteln, Kochzeug und Besteck. Die Feuerstelle war von Steinen umgeben. Tim war es hier bestimmt nicht schlecht ergangen.
Charity lehnte sich zurück, stützte sich auf die Ellbogen und blickte zum tiefblauen Himmel hinauf. Abgesehen von vereinzelten Vogelrufen war es ruhig und still.
Das Outback erobert mich, dachte sie, weil es viel mehr als Hitze, Staub und Eukalyptusbäume bot. Das war nur der erste Eindruck gewesen.
Sie war an die sich offen darbietende Schönheit ihres Heimatlandes gewöhnt, an die sanfte Landschaft der Wälder und Felder, an die gewundenen, schmalen Landstraßen und die malerischen Dörfer. Das Outback dagegen
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