Julia Collection Band 26
Nacht wach bleiben?“, fragte sie rasch. „Sie müssen doch erschöpft sein. Das ist bestimmt nicht nötig, Kane. Tim hatte hier oben auch keinen Wächter.“
„Ich bleibe nicht zum ersten Mal die ganze Nacht wach“, entgegnete er gelassen. „Machen Sie sich um mich keine Gedanken. Ich komme schon klar.“
„Glauben Sie denn, jemand könnte uns gefolgt sein?“
„Das ist möglich. Jedenfalls gehe ich kein Risiko ein.“
„Wie edelmütig von Ihnen.“
„Mit Edelmut hat das nichts zu tun, Chaz, sondern nur mit gesundem Menschenverstand.“
Sie hatte stets nach dem gesunden Menschenverstand gelebt und wollte ihn endlich in den Wind schlagen. Der Wunsch, zu Kane zu treten und ihn auf die Wange zu küssen, war so stark, dass sie nicht länger zögerte. Bestimmt wären ihr sonst Bedenken gekommen. Bevor ihre Lippen jedoch seine Wange berührten, verspannte er sich.
„Nicht“, wehrte er so schroff ab, dass sie erschrocken zurückwich, als hätte er sie geschlagen.
„Ich wollte mich nur bei Ihnen bedanken.“
„Legen Sie sich lieber wieder hin, Charity.“
„Sie brauchen mir nicht gleich den Kopf abzureißen.“
„Sie sollten klug genug sein, sich nicht einem Mann an den Hals zu werfen, wenn Sie mit ihm nachts allein sind.“ Seine Stimme klang tief und rau und verärgert.
„An den Hals werfen? Weshalb sollte ich mich ausgerechnet Ihnen an den Hals werfen?“ Sie war verletzt und beschämt und außerdem um einiges wütender als er. „Ich wollte mich lediglich mit einem harmlosen Kuss auf die Wange bedanken. Aber keine Sorge, das kommt bestimmt nicht wieder vor!“
Entschlossen wollte sie sich abwenden, da legte er ihr plötzlich die Hand unters Kinn und hielt sie fest.
Charity rang nach Luft. Ihr Mund war seinem gefährlich nah. Sie sollte sich zurückziehen, protestieren und ihm vorhalten, er habe kein Recht, so mit ihr umzugehen, aber … Wie sollte sie denn protestieren, wenn sie fühlte, dass Kane sie jeden Moment küssen würde?
Sie spürte seine innere Anspannung, hörte, wie heftig er atmete. Empfand er das gleiche ungezügelte Verlangen wie sie? Schon verlor sie jedes Gefühl für Kontrolle und schmolz förmlich dahin.
Langsam schloss sie die Augen, erbebte und öffnete die Lippen. J a, küss mich, Kane! Bitte! Jetzt!
„Chaz!“, stieß er heiser hervor und ließ sie los.
Sie riss die Augen weit auf.
„Wenn Sie noch einen Funken Verstand haben, verschwinden Sie!“
„Verschwinden?“
„Gehen Sie wieder in die Höhle, und bleiben Sie dort!“
Sie kam sich albern vor wie ein liebeskrankes Schulmädchen und war geschockt, als sie eilig in die Höhle zurückging – ja fast geflitzt wäre. Am liebsten wäre sie im Erdboden versunken. Da das nicht möglich war, verkroch sie sich stattdessen tief in den Decken.
In einen Stern verwandelt und in die Weiten des Universums geschleudert zu werden erschien ihr im Moment viel reizvoller, als mit Kane McKinnon im Busch festzusitzen.
Nur ein kleiner Kuss …
Kane hätte beinahe laut gestöhnt. Wusste Charity eigentlich nicht, dass er vor Verlangen nach ihr fast verrückt wurde? Merkte sie nicht, dass sie ihn schon seit Tagen beinahe um den Verstand brachte?
Die ganze Nacht hatte er hier draußen verbracht und versucht, nicht an ihren warmen, verführerischen Körper zu denken, als sie nur wenige Meter von ihm entfernt lag. Er hatte sich nicht ausmalen wollen, wie er mit den Fingern durch ihr rötlich schimmerndes, seidiges Haar strich, wie ihr reizvoller Mund schmeckte oder wie er ihre festen, runden Brüste umfasste. Und er hatte alle Fantasien verbannt, in denen er sich mit ihr zu einem perfekten Liebespaar vereinigte.
Selbst ein Kuss auf die Wange wäre ein Kuss zu viel gewesen. Ein einziger Kuss hätte ihn um die Selbstbeherrschung gebracht. Im nächsten Moment hätte er mit Charity auf den Decken gelegen, und um ihre Tugend wäre es geschehen gewesen.
Das war ausgeschlossen. Ein wilder, ungeschliffener Viehzüchter erlebte höchste Leidenschaft mit einer Lehrerin der Sonntagsschule. Unmöglich!
Unmöglich und eine reine Katastrophe!
Welcher Mann fiel über die Tochter eines Geistlichen her, die ihm von ihrem Bruder anvertraut worden war?
Selbst wenn er sich beherrschte und gar nichts machte, würde es bei der Rückkehr auf die Southern Cross schlimm genug werden. Reid, Ferret, der alte Vic und Tim – sie alle würden ihn und Charity aufmerksam und kritisch beobachten. Wie die Geier würden die Kerle lauern und nach Beweisen
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