Julia Collection Band 51
das ist mir schon aufgefallen.“ Rachel trank an ihrem Eistee. „Du hast nie über deine Kindheit geredet.“
Nick schluckte den Bissen Sandwich hinunter. „Das liegt daran, dass ich kaum eine Kindheit hatte. Ben und ich, wir hatten Pflichten, keine Kindheit. Aber nicht unbedingt Arbeiten, die auf der Farm nötig gewesen wären, sondern Beschäftigungen, die unser Vater sich ausdachte, damit wir keine Dummheiten machen sollten. Er hat alles daran gesetzt, um uns auf der Farm zu halten. Er war besessen von dem Gedanken, dass die Farm in Familienbesitz bleiben sollte. Ich wusste schon als Junge, dass mich nichts da halten konnte, aber mein Vater wollte nichts hören. Ich war der älteste Sohn, und deshalb würde ich auch die Farm übernehmen. Ich durfte weder in eine Sportmannschaft noch ließ er mich mit meinem Freundeskreis ausgehen, so wie Teenager das eben machen. Als ich als bester Schüler des Jahrganges eine Reise nach Washington gewann, um die Schule bei einem landesweiten Mathematik-Wettbewerb zu vertreten, durfte ich nicht fahren. Er meinte, ich bräuchte nicht mehr Mathematik im Kopf zu haben, als nötig sei, um eine Farm zu führen.“
Rachel war ehrlich entsetzt. „Oh, Nick.“
„Mom hat versucht, ihn umzustimmen, aber er wich keinen Millimeter von seinem Standpunkt ab. Er sagte, das würde mich nur auf dumme Gedanken bringen.“
Rachel bemühte sich verzweifelt, tröstende Worte zu finden. „Wenigstens deine Mutter scheint ein angenehmer Mensch gewesen zu sein.“
„Oh ja, wenn sie nicht gerade mal wieder ihren Kummer im Alkohol zu ertränken versuchte. Sie gab ihre Künstlerkarriere auf, als sie meinen Vater heiratete, und sie hat es ihr Lebtag bereut.“
„Haben dein Vater und sie sich denn verstanden?“
Nick schüttelte den Kopf. „Lieber Himmel, nein. Mein Vater hat sie ständig kleingemacht, und sie hat sich ohne Rückhalt dafür revanchiert.“ Er lächelte bitter. „Ich habe Mom einmal gefragt, warum sie nicht einfach geht. Sie meinte, sie habe einen heiligen Eid geschworen, und den müsse sie halten.“
Kein Wunder, dass Nick so wenig von Ehe und Familie hielt, dachte Rachel.
„Mom wollte nicht, dass ich so endete wie sie. Sie hat mich gedrängt, mich für ein Universitätsstipendium zu bewerben. Als ich tatsächlich eines erhielt, hat mein Vater vor Wut fast einen Herzinfarkt bekommen. Er sagte mir, wenn ich ginge, bräuchte ich nie wiederzukommen.“
Bewegt legte Rachel ihre Hand auf die seine, und seine Finger verschränkten sich mit den ihren.
„Als ich ihm sagte, ich würde so oder so gehen, warf er mich aus dem Haus. Ich hatte nichts anderes als die Sachen, die ich am Leib trug. Er verbat mir, je wieder ein Wort mit meiner Mutter oder meinem Bruder zu wechseln, drohte, sie ebenfalls hinauszuwerfen, wenn sie mit mir Kontakt aufnehmen sollten. Ich habe die Nacht dann im Straßengraben verbracht.“
Rachel schnappte hörbar nach Luft.
„Mom hat mir trotzdem immer geschrieben, und ich habe angerufen, wenn ich wusste, dass mein Vater draußen auf den Feldern war. Sie starb ein Jahr später. Ich habe sie nie mehr lebend gesehen.“
„Was geschah mit deinem Bruder?“
„Ben blieb und übernahm die Farm.“ Nicks Finger schlossen sich enger um Rachels Hand. „Er übernahm die Rolle, die mir zugedacht war. Wir haben immer darüber geredet, dass wir zusammen durch den Himalaja wandern oder um die Welt reisen und alle möglichen Abenteuer erleben wollten.“ Er wandte den Kopf. „Wenn ich geblieben wäre, hätte er wenigstens etwas vom Leben gehabt.“
„Aber er hat doch etwas vom Leben gehabt“, warf Rachel sanft ein. „Er hat geheiratet und hat Jenny gehabt.“
„Schon, aber er hat nie die Chance gehabt, seine Träume zu verwirklichen.“
„Vielleicht hat er das ja. Vielleicht haben sich seine Träume geändert, und er hat ein glückliches Leben gelebt.“
Rachel sah den zweifelnden Blick in Nicks Augen. Er glaubte ihr nicht. Natürlich nicht. Für ihn kamen Ehe und Familie gleich mit einer lebenslangen Haftstrafe.
Dann wurde seine Miene entschlossen. „Eines weiß ich ganz sicher – Jenny wird mit ihrem Leben alles das machen können, was sie möchte. Dafür werde ich sorgen.“
Rachel lächelte ihm ermutigend zu. „Du wirst das großartig machen. Du wirst liebevoll und warmherzig sein, und du hast Sinn für Humor. Bei dir werden sogar monatliche Gewinn- und Verlustrechnungen zu einem Spaß, da kann doch mit dem ABC und dem Einmaleins gar nichts
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