Julia Collection Band 57
Zuerst kam Cade, dann Lincoln.
Wieder lachte Cade aus vollem Hals, und Lindsey sah erneut auf den Hof hinaus. Jackson packte den Jungen gerade und klemmte ihn sich unter den Arm. Dann hob er schnell noch einen großen Stiefel auf, der Cade vom Fuß gerutscht war. Lincolns Stiefel, die Cade stibitzt hatte, als sein Held nach der Rückkehr von der Weide anderes Schuhwerk angezogen hatte, um auf dem Wellblechdach der Scheune nicht abzurutschen.
Den Stiefel unter dem einen Arm und Cade unter dem anderen, lief Jackson zur Scheune und übergab dort den wild zappelnden Cade in Adams’ Obhut. Der Älteste der Cades und ihr Sohn verschwanden Richtung Heuboden, und Lindsey trat vom Fenster zurück.
Sie nahm ihre Tasse Tee und strich geistesabwesend über das zarte Porzellan. Cade mochte Jackson, weil der so unkonventionell war, Jefferson, weil der so jungenhaft war und Adams, weil der nie müde wurde, ihm seine endlosen Fragen zu beantworten. Aber es war Lincoln, dem er sich zuwandte. Lincoln, den er nachahmte. Lincoln, den er vergötterte und liebte. Lincoln, zu dem er gehörte.
Dennoch sagte Lincoln nichts.
Aber er wusste es. Alle wussten es. Es war ihnen anzumerken, wenn sie Cade ansahen. Doch keiner schnitt das Thema an. Sie warteten ab. Genau wie Lindsey wartete.
„Lindsey.“
Erschreckt fuhr sie herum und ließ dabei die Tasse fallen. „Oh nein!“ Mit zitternden Fingern sammelte sie die Scherben auf. „Oh nein! Sie war so schön.“
Lincoln nahm ihr die Scherben ab. „Es war doch nur eine Tasse.“
Sie schüttelte den Kopf, ohne recht zu merken, dass Lincoln die Scherben beiseitegelegt hatte und ihre Hände fest in seine Hände nahm. „Du verstehst nicht ganz.“ Mit Tränen in den Augen suchte sie seinen Blick. „Sie gehörte Luckys Mutter. Ein Erbstück der Stuarts.“
„Aber trotzdem war es nur eine Tasse.“ Er wollte ihr sein Taschentuch geben, doch ihre Tränen waren versiegt. Das war die Lindsey, die er kannte. Überaus gutherzig, aber viel zu resolut für Tränen. „Frannie ist tot, Lindsey. Die Tasse gehört jetzt dir.“
Wieder schüttelte sie den Kopf, als er sie zu einem Stuhl geleitete. „Warte hier.“ Seine Stimme klang seltsam rau. „Ich hole Verbandszeug.“
Lindsey sah ihm nach. Diesem attraktiven Mann, der sich im Haus offenbar gut auskannte. Kein Wunder. Sie fragte sich, wie es wohl gewesen wäre, Teil seines Lebens zu sein, so wie damals Lucky und Frannie Stuart. Diesen Mann verloren zu haben schmerzte sie immer noch sehr.
Um Beherrschung bemüht, sah sie auf ihre Hände hinunter und merkte erst jetzt, dass ihre Schnittwunde blutete. Das erklärte auch Lincolns Gesichtsausdruck, seinen Unterton – Sorge, kein Anflug liebevoller Gefühle.
Von draußen drang erneut Cades Lachen in die Küche. Ihr Sohn war hier glücklicher als je zuvor. Aber würde das so bleiben? Wenn sie Lincoln erst gestand, was sie gestehen musste? Wenn er sie für das, was sie getan hatte, hasste?
Lindsey legte ihre unverletzte Hand über ihre Augen und begann, mit Daumen und Zeigefinger ihre Schläfen zu massieren.
Gleich darauf kam Lincoln mit einer Schüssel Wasser, einem Waschlappen und Wundsalbe zurück und kniete sich vor sie hin. Dann nahm er ihr die Hand vom Gesicht. „Bist du in Ordnung?“ Ein kleines Lächeln umspielte seine Lippen. „Dir ist doch wohl beim Anblick deines eigenen Bluts nicht schlecht geworden, oder?“
„Nein …“ Ihre Stimme zitterte, weil er nun ihre verletzte Hand behutsam in seine Hand nahm. „Nein, natürlich nicht.“
„Was ist dann …?“
Lindsey senkte den Blick und starrte auf ihrer beider Hände. Lincolns waren groß, kräftig und gebräunt. Abgehärtet durch die Arbeit als Tierarzt und auf der Plantage, und doch so weich. Ihre Hände waren viel kleiner. Man könnte sagen, zart, wenn sie vom vielen Putzen nicht ganz gerötet und rau gewesen wären. Lincoln schien das nicht zu kümmern.
„Lindsey? Du machst dir doch nicht etwa immer noch Vorwürfe wegen der zerbrochenen Tasse?“
„Wenn ich bloß besser aufgepasst hätte. Jahrelang wurde das Porzellan so sorgsam behandelt. Und in nicht mal einem Monat mache ich einen einzigen Scherbenhaufen daraus.“
„‚Scherbenhaufen‘ ist wohl etwas übertrieben.“ Lincoln besah sich den Schnitt auf ihrer Handfläche. Er wusch die Wunde mit lauwarmem Seifenwasser aus, strich Salbe darauf und legte anschließend einen kleinen Verband an. „So, das sollte reichen.“
Statt jedoch aufzustehen, kniete Lincoln
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